Religion.
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Kraft des Volkes sich seine Götter selbst bildet. Die
Grundansehauung bleibt dieselbe, aber der Gesichtspunkt
ändert sich. Wie verschieden sind die Griechen in ihrer
pelasgischen Urzeit, in der Blüthe der homerischen My-
thologie und in dem spätem philosophischen Zeitalter,
und doch war es derselbe Lebensgeist, der sie beseelte.
Solche Veränderungen sind denn auch in den Religions-
lehren der Hindus nachzuweisen. Allein auch abgesehen
von ihnen ist der Geist dieser Lehren ein weniger be-
stimmter, vielgestaitiger und deshalb schwerer zu fassen.
In den ältesten Schriften, den Veda's, liegt ein Na-
turdienst vor, die Verehrung der Sonne. Daraus entwickelt
sich eine Art Monotheismus, eine Schöpfungslehre, in wel-
cher das Hervorgehen aller Dinge aus Einem erkannt wird.
Aber es ist dies nicht ein persönlicher Gott, sondern
Brahman, das ungeschaßene All, geschlechtlos, unbe-
stimmt. Der sinnliche Mensch begreift die Persönlichkeit
nur da, wo er Handlung und Willkühr zu sehen glaubt;
der tiefste Grund der Dinge geht ihn weniger an, als
das, was auf seine Schicksale Einfluss hat. Dieses höch-
ste Wesen war daher mehr der Gegenstand philosophisch
theologischer Betrachtung als der Volksreligion, ihm
wurden keine Tempel gebaut, es blieb im Dunkel wie
das Fatum der Griechen. Zwei andere Hauptgötter, zwar
nur Ausfiüsse der höchsten Gottheit, aber wirksamer und
dem Menschen näher stehend, wurden daher die Idole
ihrer Tempel. Der eine, Sivas d. i. der Verehrte oder
Mahadeo d. i. der grosse Gott, stellte die Naturkraft dar,
den Wechsel der Dinge; er ist der Erzeugende aber
auch der Zerstörer, der Gott, vor welchem die sinnliche
Natur des Menschen ihr Knie beugt, der Gott der Furcht.
Sein Symbol ist das Feuer. Neben ihm steht Vischnu,