Volk
und
Land.
117
die orientalische Unterwürfigkeit der Frauen ihr einen
abweichenden, wenn auch nicht ungünstigen Charakter
gäbe, nicht selten an die innige Auffassung der Minne-
lieder erinnern. Ueberhaupt ist der Sinn für alles Zarte
empfänglich und neigt sich selbst zum Sentimentalen.
Diesen Charakter hat namentlich ihr zärtliches Mitgefühl
mit den Pflanzen. Bei keiner Nation stehen die Blumen
und Bäume in so hoher Achtung, keine ist so erfinderisch
in Vergleichung aller nlensehlichen Verhältnisse mit der
vegetabilisehen Natur; ihre Gedichte sind angefüllt damit,
unerschöpflich im Reichthume neuer Beziehungen und in
Aufzählung von Pflanzennamen. Die Verehrung für die
Thiere ist zwar jetzt mannichfach an abergläubische
Vorstellungen geknüpft und verliert für uns durch den
Gedanken, dass sie ihre Mitmenschen niedriger Stämme
Weniger als die Thiere achten, an seinem Werthe, allein,
dennoch liegt auch hierin ursprünglich der Beweis eines
theilnehmenden Sinnes. Auch die grosse Reinlichkeit in
ihrer äusseren Erscheinung, die Mässigkeit ihres Lebens
nimmt für sie ein. Berauschende Getränke vermeiden die
Hindus noch heute, die Kost vder Brahmanen besteht
meistens in vegetabilischen Stoffen, wenn ihnen auch
Fleischspeisen nicht gänzlich untersagt sind. Ihre Klei-
dung sind baumwollene oder linneue, lange, oft weisse
Gewänder. Wolle und Pelze sind, nicht ohne Rücksicht
darauf, dass sie von getödteten 'l'hieren herrühren, ver-
achtet. Den höchsten Beweis eines sanften Charakters
giebt die grosse und sorgsame Pflege der Künste. Die
Musik ist zwar jetzt vernachlässigt, aber die Maeedonier
nrtheilten, dass keine Nation die Tonkunst so sehr liebe,
als die indische; unter ihren Gottheiten ist. eine eigene
Göttin der Tonkunst, und ihre ältern Schriften enthalten