Die
Kunst
in
der
Geschichte.
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dass es unmöglich ist, in einer übersichtlichen Darstellung
alle diese Fäden zu verfolgen, es reicht wohl Selbst über
die höchsten menschlichen Kräfte hinaus, sie alle voll-
ständig wahrzunehmen. Vielleichtwviirde eine vollendete
Darstellung der Kunstgeschichte, ohne dass sie ausdrück-
lich darauf Anspruch machte, von allen jenen Wechsel-
WirkungenRechenschaft zu geben, dennoch ihre Resultate,
da dieselben in der Kunst, als der wenigst einseitigen
aller Bestrebungen am Meisten vereinigt sind, anschaulich
machen. Sie würde das Wesen des Volkes zusammen
gefasst, wie in einem verkleinernden Spiegel,- zeigen, so
dass ein scharfer Blick und richtiges Urtheil aus den
Reflexen und Schatten auch auf die verborgenen Stellen
Schliessen könnte. Allein dies könnte nur erreicht wer-
den, wenn man das ganze Kunstgebiet mit gleicher Klar-
heit übersähe, die verborgenen Fäden aller Verknüpfungen
entdeckt hätte, überall das Zufällige von dem Wesent-
lichen zu scheiden wüsste. Auch so noch überschreitet
die Aufgabe, wemrnicht menschliche Kräfte überhaupt,
S0 doch die Gränzen der gegenwärtigen Forschungen,
Welche, erst seit Kurzem begonnen, sich schon gewaltig
gefordert haben, aber auch noch viele neue und umge-
staltende Ergebnisse erwarten lassen. Die bildenden"
Künste haben vor den andern in dieser Beziehung etwas
voraus; da ihr Stoff, das Gesetz des Räumlichen, der
festeste und klarste ist, so herrschen auch in ihrer Ent-
faltung die Naturgesetze der Kunst entschiedener vor,
während in den andern Künsten die Freiheit des Sängers
und Dichters selbstständiger und eigenthülnlicher wirkt.
Ihre Gestalten sind daher gleichmässiger. Während die
andern Künste erst aus einer bunten hlannigfaltigkeit
subjectiv verschiedener Darstellungen völlig gewürdigt