94
Einleitung.
Es ist hierdurch begreiflich wie der Entwickelungs-
gang der Künste mit dem des äussern Volkslebcns in
Einklang stehen kann und muss. Die Lebensdauer der
Kunst ist kürzer als die des Volkes; sie gehört weder
dem rohen Knabenalter noch der Periode der letzten Al-
tersschwäche an, sondern dem Zeitpunkte jugendlicher
Reife und edler Männlichkeit, ein Product des Selbstge-
Fühls der Völker.
Es zeigen sich daher in ihrem kürzern Dasein die
notlnvendigen Entwickelungsstufen mehr zusammen ge-
drängt, und nicht überall genau mit denen des allgemeinen
tVolkslebens gleichzeitig. Auch bringen die besonderen
Gesetze der einzelnen Künste im Verhältnisse zu dem
ihnen mehr oder Weniger geneigten Volksgeiste; Ver-
schiedenheiten der Dauer und der WVechselwii-kung hervor.
Im Wesentlichen aber schliessen sich dennoch diese Pe-
rioden des Kunstlebens an die des Volkslelaens an. Daher
sind denn auch die Künste, ungeachtet ihres harmlosen
Charakters, nicht ohne bedeutende Rückwirkung auf" das
politische Leben, dem sie bald Bestärkung in klarer
männlicher Festigkeit, bald Verleitung zum Wcichlicheil
und Auflösenden werden können. Rücksichtigt man nun
endlich darauf, dass auch die andern, geistigen oder
äusserlichen Thätigkeiten, kriegerische und friedliche,
wissenschaftliche und industrielle eben so wie sie im
Allgemeinen auf den Volksgeist influiren, so auch im
Einzelnen auf gewisse Künste Einfluss ausüben und von
ihnen empfangen, so öffnet sich uns ein Bild eines ver-
wickelten und überaus künstlichen Organismus vielfach
sich durchkreuzender Wechselwirkungen , Welche alle
mehr oder weniger mit der Kunst und ihrer Geschichte
in Verbindung stehen. Es liegt in der Natur der Sache,