Die
Kunst
in
der
Geschichte.
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der Poesie entwickelt, mehr und mehr entbehren kann,
und überlässt sie endlich sich selbst zu ihrer selbststän-
digen Ausbildung, deren Blüthezeit indessen erst später
eintritt. Die Poesie selbst aber entwickelt sich dann zur
Lyrik, in welcher nun auch die Schönheit des einzelnen
Gemüthes sich ausbildet, und geht zuletzt zum Drama
über, in dem die Verwickelungen und Leiden der Ein-
zelnen, der Streit des Individuums gegen das Schicksal,
gegen Gesetz und Sitte sich gestalten. Bald nach" der
Vollendung des Epos, erlangt die bildende Kunst eine
künstlerische Behandlung. Es gehört eine Weitere Erhe-
bung über das gemeine Dasein dazu, um in den äussern
Dingen, welche nur zum sinnlichen Gebrauche zu dienen
scheinen, die schönen Verhältnisse zu erkennen. Die Poesie
muss daher schon vorgearbeitet, den Gemüthern einen
höhern Schwung gegeben , sie für das reine Maass
empfänglich gemacht haben, ehe die Bearbeitung des
härteren Stoffes erfolgen kann. Unter den bildenden Kün-
sten geht die Architektur voran; der Sinn muss sich erst
für die reinen Verhältnisse gebildet haben, ehe er ihre
tiefere Bedeutung an der individuellen Gestalt auffassen
kann. Ihr folgt die Sculptur, Welche eben diese Verhält-
nisse an dem Einzelnen, den leiblichen Organismus, dar-
stellt. Sie ist der lyrischen Poesie verwandt, indem sie
wie diese sich auf den Einzelnen in seiner Schönheit
und Gediegenheitbezieht. Man muss deutliche Anschauung
von dem Werthe und der Kraft individueller Gefühle,
von der sittlichen Ausbildung der Geschlechter und Cha-
raktere erlangt haben, um sie körperlich darzustellen,
und in diesen Anschauungen geht die Poesie der Plastik
voraus. Die Malerei endlich folgt erst auf die Sculptur,
durch das Mittelglieil des Reliefs vorbereitet. Man lernt