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Einleitung.
wickelung des menschlichen Geistes. Denn das Schöne
selbst, das Ziel der Kunst ist nichts anderes, als die
möglichst vollendete Darstellung' des menschlichen We-
sens, und scheint daher mit der allgemeinen Aufgabe
der Menschheit, deren Lösung nach eingebornem Triebe
alle Völker, jedes nach seiner WVeise, erstreben, über-
einzukonnnen. Es scheint, sage ich; denn wer möchte
behaupten; dass es wirklich so sei, dass das letzte Ziel
der Menschheit wirklich völlig mit der höchsten Befrie-
digung des Schönheitssinnes zusammen falle! Die
Schönheit beruht auf dem Einklange des Geistigen und
Körperlichen; der Fortschritt der Menschheit, vom Sinn-
liehen ausgehend, ist stets auf der geistigen Seite. Vor-
übergehende Störungen der bereits erlangten Harmonie
durch eine einseitig vorherrschende Geistigkeit werden
dann zwar, wenn auch nicht für das einzelne Volk, so
doch durch ein anderes, nachfolgendes mithin für die
Menschheit im Ganzen überwunden; die natürliche Seite
macht sich später-hin wieder geltend und das Gleichge-
wicht wird Verhältnissmässig wieder hergestellt. Allein
es fragt sich, ob diese wiedererlangte Harmonie ganz
die Vollendung der früher besessenen habe, ob im Ent-
wickelungsgange der Menschheit, von vorherrschender
Sinnlichkeit zum Gleichmaasse und über dasselbe hinaus,
das letzte Ziel nicht jenseits, nach der geistigen Seite
hin liege, 0h der höchsten geistigen Stufe menschlicher
Bildung auch die Kunst im vollesten Maasse vergönnt
sei, und 0b die höchste Harmonie, deren Vorbild die
Kunst gewesen, in den Gränzen des irdischen Daseins
ihre Stelle finde. Indessen sind dies Fragen, welche die
Geschichte nur anregen, nicht auflösen kann, und welche
daher auch hier nur zu berühren waren. Es genügt uns