86
Einleitung.
krüppelt sie erscheinen mag, der vollste und zuverlässig-
ste Ausdruck des Volksgeistes. Sie verhält sich zu den
übrigen Aeusserungen desselben, im geistigen und im
äussern Leben, wie bei dem einzelnen Menschen der
Ausdruck des Gefühles zu seinen übrigen, mehr ab-
sichtlichen Leistungen. Solange wir einen Menschen
bloss aus seinen Gedanken und Maximen, aus seinen
Handlungen und seiner äussern Erscheinung beurtheilen,
ist unsere Kenntniss von ihm noch unvollkommen; erst
wenn es uns durch längere und wohlwollende Betrachtung
gelingt das Eigenthiimliche seiner Gefühle, die Form seiner
Aeusserungen zu verstehen, erst dann kennen wir ihn ganz.
Ebenso ist es mit dem innersten Wesen der Völker.
Der scharfe Blick des Besehauers dringt zwar auch bei
der Betrachtung des politischen Lebens und der wissen-
schaftlichen Leistungen tief ein in ihre Natur, allein die
feinsten und eigenthümliehsten Züge, die Seele des Vol-
kes, werden wir stets nur aus seinen Kunstleistungen,
aus der Poesie und den bildenden Künsten, erkennen"
Im politischen Leben nehmen die Leidenschaften und
Zufälligkeiten der hervorragenden Individuen zu sehr
den Vorgrund ein, und auch die wissenschaftliche Ent-
wickelung wird zu sehr von der Bedeutung der einzelnen
Leiter derselben und von einer geistigen Absichtliehkeit
bestimmt. Ueberdies steht sie in gewissem Grade ver-
einzelt und "abgelöst von dem innersten Leben. In der
Kunst allein bringt die nothwendige Harmonie des Wer-
kesdie zartesten, dem Worte unausspreclilieheil ltegnn-
gen ans Lieht. In ihr allein wird das Naturelement,
nicht als Beschränkung des Geistes, sondern in seiner
belebenden Eigenthümlichkeit ausgeprägt. So_ bedeutend
die Persönlichkeit der hervorragenden künstlerischen