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Malerei das XVI. Jahrhunderts.
Venedig.
lässig. Die Geschichte der Judith (Pal. Brignole in Genua) ist
Wenigstens noch ein prächtiges Farbenbild.
Am berühmtesten sind Paolo's Gastmähler, dergleichen er
vonrkleinsten bis zum ganz colossalen Massstab gemalt hat. Sie er-
scheinen als nothwendige höchste Frucht der Existenzmalerei, welche
hier die letzten historischen Fesseln absehiittelt und nur noch einen
Rest von Vorwand braucht, um in ungehemmtem Jubel alle Pracht
und Herrlichkeit der Erde, vor Allem ein schönes und freies Men-
schengeschlecht im Vollgenuss seines Daseins zu feiern. Für Speise-
säle von Fürsten hätte Paolo vielleicht Bacchanalien zu malen gehabt
und dabei seine Unzulänglichkeit in der idealen Zeichnung und Com-
position sowie im Affect geoifenbart: indem er aber für Klosterre-
fectorien malte, ergab sich als sichere Basis irgend ein biblisches
Bankett, dessen ceremoniellen Inhalt er durch die schönste Einzel-
belebung aufheben konnte. Die prachtvollsten architektonischen Ört-
lichkeiten undöPerspectiven bilden den Schauplatz, auf Welchem sich
die sitzende Gesellschaft und die bewegten Episoden in vollem Reich-
thum und doch ohne Gedränge ausbreiten können. Die besten imd
grössten dieser Bilder (im Louvre) sind vielleicht die ersten Gemälde
der Welt in Betreff der sog. malerischen Haltung, in dem vollkom-
menen Wohlklang einer sonst überhaupt unerhörten Farbenscala 1);
allein die Scala der zu Einem Ganzen vereinigten Existenzcn ist im
Grunde ein noch grösseres Wunderwerk. Die heiligen Personen und
die an sie geknüpften Ereignisse bleiben freilich Nebensache.
a Venedig besitzt noch Ein Hauptwerk dieser Art: das Gastmahl
h des Levi (Academie). Eine Hochzeit von Kana in der Brera zu
Mailand. Ebenda: Christus beim Pharisäer. Andere Gastmählet
ein der Galerie von Turin; eines (alte Copie im Pal. reale zu Ge-
nua. Nach Paolols Tode verwertheten seine Erben seine Motive
dzu ähnlichen Bildern; ein grosses, unangenehmes Gastmahl beim Pha-
risäer in der Academie zu Venedig. Paolo selbst, als er einst das
i) Die sehr verschiedenen, zum Theil orientalischen Trachten sind nicht aus
Romantik angebracht, sondern um bei der Lösung des ungeheuern Farben-
problems freiere Hand zu haben.