Tintoretto.
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fang bis zu Ende im Sinne des absoluten Naturalismus um, vielleicht
mit dem Zwecke, unmittelbarer zu ergreifen und zu rühren. Für diese
Absicht sucht er das Auge durch schöne Köpfe zu gewinnen; dagegen
wird er nicht inne, wie der Missbrauch der Fülliiguren den wahren
und grossen Eindruck aufhebt; er fallt in seinem Eifer der Verwirk-
lichung auf die gemeinsten Züge, wie denn z. B. das Abendmahl kaum
je niedriger aufgefasst worden ist; bei der Taufe im Jordan drückt
Johannes dem Christus die Schulter herab; bei der Auferweckung
des Lazarus sitzt Christus ganz bequem in der Ecke unten. Die mei-
sten Bilder, mit Ausnahme der Sala dell" albergo, sind höchst nach-
lässig und schnell gemalt. In denjenigen der untern Halle ist das
Landschaftliche zu beachten; scharfe phantastische Lichter an den
Rändern der Bäume und Berge. Einen ungeschickten Wetteifer mit
Michelangelo findet man am ehesten in dem grossen mittlern Decken-
bild der obern Halle, welches die eherne Schlange darstellt. Mit
den Gemälden dieser Scuola gab T. den Ton an für die ganze monu-
mentale Malerei Venedigs in den nächsten Jahrzehnden (von denä15G0er
Jahren an); er selber nahm noch Theil an der Ausschmückung der
Capella del rosario (links an S. Giov. e Paolo), welche als Denk-a
mal des Sieges von Lepanto errichtet wurde, hauptsächlich aber an
derjenigen des Dogenpalastes. Den decorativen Werth dieser Arbeiten
haben wir oben (S. 291, f) festzustellen gesucht. Wo sich einmal
der ganze Styl so sehr von der Auflassung, die beim Fresco die allein
mögliche ist, abgewandt hat, da bleibt in der That kein anderer Aus-
weg oiTen, als diesen-Im Chor von S. M. delP orto zwei Oolossal-b
bilder, die Anbetung des goldenen Kalbes und die letzten Dinge; roh
und abgeschmackt. Im linken Querschiff von S. Trovaso ein Abend- c
mahl, zum gemeinsten Schmaus entwiirdigt. Auf 1111811 Altüfell V01!
S. Giorgio maggiore Sudeleien, welche dem T. zu ewiger Schmachd
gereichen.
Von seinen Schülern ist sein Sohn Domenico in seinem Natu-
ralismus meist um einen Grad gewissenhafter. Der Peruginer An-
tonio Vascibracci, genannt PAÜGIISB, brachte Tfs Styl in Seine
Heimath (10 grossc Geschichten Christi an den Oberwänden des Haupt- ß
Schiffes von S. Pietro de' Cassinensi in Perugia.)