Paris Bordone.
Tintoretto.
983
In der zweiten Hälfte des XVI. Jahrhunderts, als alle andern
Schulen in den tiefsten Verfall gerathen Waren, hielt sich die vene-
zianische noch in einer bedeutenden Höhe durch die grössere Vernunft
der Besteller, durch die Unerschöpflichkeit des Naturalismus und durch
die fortdauernde Praxis der Reizmittel des Colorites. Trotzdem macht
sie jetzt einen wesentlich andern Eindruck. Wir versparen das Werk
der ganzen Schule, die Ausmalung des Dogenpalastes, auf das Ende
und nennen hier zuerst die übrigen Werke der betreffenden Künstler.
Der erste, Welcher der Schule eine neue Richtung gab, War J a-
copo Tintoretto (eigentlich Robusti, 1512-1594). Früher Schüler
Tizians und von Hause aus sehr reich begabt, scheint er ganz richtig
empfunden zu haben, woran es in Venedig fehlte, und drängte nun
auf eine mächtig bewegte, dramatische Ilistorienmalerei hin. Er stu-
dirte Michelangelo, copirte auch bei künstlichem Licht nach Gypsab-
güssen und Modellen, nicht um seine venezianische Formenbildung zu
idealisiren, sondern um sie ganz frei und gelenk zu machen fiir jede
Aufgabe und um ihr durch die wirksamsten Lichteffecte eine neuc
Bedeutung zu geben. Glücklicherweise blieb er dabei in seinem tief-
sten Wescn Naturalist. Jene Verschleppung der Manieren der römi-
schen Schule blieb wenigstens der guten Stadt Venedig erspart. "Unter
diesen Umständen büsste er bloss das venezianische Colorit in vielen
seiner Werke ein, als Welches mit der starkschattigen Modellirung an
sich unverträglich ist, auch vielleicht bei Tintoretto technischen Neue-
rungen unterliegen musste. Man darf sich wohl wundern, dass in so
vielen Fällen seine Farbe überhaupt gerettet, ja dass ein Helldunkel
vorhanden ist. Manches freilich erscheint ganz entfärbt, dumpf, bleiig.
War er nun aber der Poet, Welcher das Recht gehabt hätte zu
seinen grossen Neuerungen? Es steckte in ihm neben vielem Grossen
doch auch eine gewisse Roheit und Barbarei der Empfindung; selbst
seine künstlerische Moralitat schwankte oft, sodass er bis in die ge-
wissenloseste Sudelei versinken konnte. Es fehlt ihm die höhere Ge-
setzlichkeit, die der Künstler, besonders bei Wagnissen und Neuerun-
gen, sich selber geben muss. Bei seinen ungeheuern Unternehmungen,
die an bernaltem Quadratinhalt vielleicht das Zehnfache von dem aus-
machen, was die Frucht von Tizians hundertjährigem Leben ist, kommt