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Malerei des XVI. Jahrhunderts.
Rafael.
Für denselben Agostino Chigi (einen reichen sienesischen Bankier),
welcher diese Capelle baute, entstand damals das schönste Sommer-
ahaus der Erde, die Farnesina an der Longara zu Rom. Baldassare
Peruzzi erbaute es und malte auch mehrere Räume wenigstens theilweise
aus. Zwischen den Arbeiten der Stanza d'Eliodoro liess sich auch Rafael
einstweilen (1514) zu einem Frescobilde für seinen Gönner Agostino
herbei, und malte in dem Nebenraum links die Galatea, das herr-
lichste aller modern-mythologischen Bilder. Hier ist die allegoriseh
gebrauchte Mythologie kein conventioneller Anlass zur Entwicklung
schöner Formen , sondern was R. geben wollte, liess sich überhaupt
nur in diesem Gewande ganz rein und schön geben. Welcher bloss
menschliche Hergang hätte genügt, um das Erwachen der Liebe in
seiner vollen Majestät deutlich darzustellen? Die Fürstin des Meeres
ist lauter wonnige Sehnsucht; umzielt von Amorinen, umgeben von
Nymphen und Tritonen, welche die Liebe schontvereinigt hat, schwebt
sie auf ihrer Muschel über die ruhige Fluth; selbst an die Zügel ihrer
Delphine hat sich ein wundervoller Amorin gehängt und lässt sich
von ihnen wohlgemuth über die Gewässer ziehen. Im Einzelnen wird
man, beiläuüg gesagt, hier am besten sich überzeugen können, wie
wenig Rafael in seinem Fcrmgefühl [von den Antiken abhängig war;
nicht nur die Auffassung, sondern jeder Contour ist sein eigen. Und
zwar ist seine Zeichnung eine minder ideale, mehr naturalistische als
die der Griechen; er ist der Sohn des XV. Jahrhunderts. Es giebt
vcorrektere" Gestalten aus der David'schen Schule, wer möchte sie
aber gegen diese eintauschen?
In seinen zwei letzten Lebensjahren (1518-20) schuf dann Ra-
bfael die Entwürfe zu der berühmten Geschichte der Psyche für
die grosse untere Halle der Farnesina; sie wurden ausgeführt von
Giulio Romano, Francesco Penni und (das Decorative und die Thiere)
von Giovanni da Udine. Die Schüler haben die Gedanken des Mei-
sters in einem conventionellen und selbst rohen Styl wiedergegeben;
um zu Wissen, wie R. sie dachte, versuche man, sie in den Styl der
Galatea zurückzuübersetzen. Für seine Gomposition erhielt R. eine
flache Decke mit abwärts gehenden Gewölbezwickeln. An den Vor-
derseiten der letztern stellte er zehn Momente der Geschichte der
Psyche dar, an den innern Seiten schwebende Genien mit den Attri-