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Malerei des XVI. Jahrhunderts.
Rafael.
Würfe waren, nach welchen er die Schüler arbeiten liess; wahrschein-
lich je nach Umständen.
Ort und Technik schrieben die grösste Einfachheit vor. Licht-
effect, Ausdruck einzelner Köpfe, irgend ein raffinirtes Detail durften
nie die Grundlage und Seele des Bildes ausmachen. Was nicht mit
deutlichen Beziehungen und Geberden zu erreichen war, musste weg-
bleiben. Der menschlich interessante Kern der Scenen, ohne irgend
einen bestimmten orientalischen Bezug, musste zum idealen, für alle
Zeiten und Länder gültigen und verständlichen Kunstwerk ausgebildet
werden. Von der venezianischen Art, den Vorgang in eine Novelle
des XVI. Jahrh. zu übersetzen, konnte hier keine Rede sein. Man
halte aber die Loggienbilder neben die Umrisszeichnung eines Gier-
gione, Palma oder Bonifazio dieser Art, und man wird den Gedanken-
unterschied inne werden. Übrigens ist in vielen Loggienbildern die
Landschaft so schön und bedeutend als bei den Venezianern, worauf
hier ausdrücklich hingewiesen werden muss. (Erschaffung der Eva,
Adams Feldbau, Jacob mit Rahel am Brunnen, Jacob mit Laban strei-
tend, Joseph als Traumdeuter vor seinen Brüdern, Findung Mosis,
u. a. m.)
Die Vortrefilichkeit der einzelnen Motive entzieht sich durchaus
der Beschreibung; es scheint sich Alles von selbst zu verstehen. Um
den Werth jedes einzelnen Bildes ins Licht zu setzen, müsste man
jedesrnal nachweisen, wie andere Künstler meist mit grössern Mitteln
doch nur eine geringere, weniger geistvolle Lösung zu Stande gebracht
oder auch gänzlich neben das Ziel geschossen haben. Streitig für un-
ser Gefühl sind nur die ersten Bilder, die der WVcltschöpfung. Rafael
bediente sich hier zum Ausdruck für den Schöpfer desjenigen Typus,
Welchen Michelangelo in der Sistina zum Leben gerufen hatte; die
"Kunst hatte jetzt gleichsam das Recht, die in verschiedene Acte ge-
theilte Schöpfung als lauter Bewegung darzustellen. Gleich darauf
beginnt die Geschichte des ersten Menschenpaares, die hier durch die
Bestimmtheit des landschaftlichen Raumes einen von den Darstellungen
gleichen Inhaltes in der, Sistina wesentlich verschiedenen Grundton
erhält. Diese vier Bilder allein offenbaren schon den grössten histori-
sehen Componisten, wie man beim Durchdenken ihrer Motive zugeben
wird. Mit den vier Noah-Bildern beginnt ein neues patriarchalisch-