Stanza. cfllliodoro.
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Gemälde war der Heliodor. Welch ein Athemschöpfen nach den
symbolisch bedingten Bildern der Camera della Segnatura! Er hat
keine grossartigere bewegte Gruppe mehr geschaffen als die des himm-
lischen Reiters, mit den im Sturm zu seiner Seite schwebenden Jüng-
lingen und dem gestürzten Frevler nebst dessen Begleitern. Woher
die Erscheinung gekommen, wo sie vorübergesaust ist, zeigt der leere
Raum in der Mitte des Vordergrundes, welcher den Blick auf die
Gruppe um den Altar des Tempels frei lässt. Man bewundert mit
Recht die Verkürzung in dem Reiter und in dem I-Ieliodor, aber sie
ist nur der meisterhafte Ausdruck fiir das Wesentliche, nämlich die
glücklichste Schiebung der Figuren selbst. Die Gruppe der Frauen
und Kinder, deren hundertfältiges Echo durch die ganze spätere Kunst
geht, verdient hier im Urbild ebenfalls, dass man sie sich genau ein-
präge. Endlich musste dem Papst sein Genüge geschehen; in voller
Wirklichkeit auf seinem Tragsessel thronend schaut er ruhig auf das
Wunder hin, als käme es ihm gar nicht unerwartet. An dän Bildniss
Marc Antons, der als Träger des Sessels mitgeht, hat man den be-
stimmten Beweis, dass R. seine Porträtpersonen wenigstens zum Theil
freiwillig anbrachte.
Die Messe von Bolsena war eine viel einseitigere Aufgabe
als der I-Ieliodor. Das Geschehen des Wunders beschränkt sich auf
einen ganz kleinen Fleck; es wäre ungefähr dasselbe, wenn ein Dra-
matiker die Peripetie seines Stückes auf das Verwechseln eines Ringes
oder sonst auf ein scenisch kaum sichtbares Ereigniss bauen müsste.
Aber innerhalb dieser Schranken ist das Herrlichste gegeben. Die
Wahrnehmung und die Ahnung des Wunders geht wie ein geistiger
Strom durch die andiiehtige Menge links und der Reflex davon belebt
auch schon die unten an der Treppe sitzenden Frauen und Kinder;
in der Gruppe des Papstes und seiner Begleiter ist es ruhige Gewiss-
heit, Wie sie den mit tausend Wundern vertrauten Fürsten der Kirche
zukömmt, und von diesem Ausdruck durften auch die unten knienden
Obersten der Schweizergarde nicht zu weit abweichen. An und für
Sieh sind sie ein Vorbild monumentaler Costümbchandlung. Die
Anordnung neben und über dem nicht einmal in der Mitte der Wand
stehenden Fenster scheint für Rafael ein wahres Spiel gewesen Zu
Sein; eben aus der Unregelmässigkeit entwickeln sich für ihn die