Camera della Segnatura.
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wendig, sondern auch als neutrale Gestalt zwischen der obern und
der untern Gruppe unentbehrlich ist. Und was will das stille Lächeln
dieses wunderbaren Antlitzes sagen? Es ist das siegreiche Bewusst-
sein der Schönheit, dass sie neben aller Erkenntniss ihre Stelle in
dieser bunten Welt behaupten werde.
Neben der Decke der sixtinischen Capelle ist die Camera della
Segnatura, welche fast genau zur gleichen Zeit gemalt wurde, das
erste umfassende Kunstwerk von reinem Gleichgewicht der Form und
des Gedankens. Noch die trefflichsten Florentiuer des XV. Jahrh.
(Lionardo ausgenommen) hatten sich durch den Reichthum an Zu-
thaten (Nebenpersonen, überflüssige Gewandrnotive, Prunk der Hinter-
gründe u. s. w.) stören lassen; ihr Vieles hebt sich gegenseitig auf;
ihre scharfe Charakteristik vertheilt die Accente zu gleichmässig über
das Ganze; Fra Bartolommeo, der erste grosse Componist neben Lio-
nardo, bewegte sich in einem engbegrenzten Kreise und sein Lebens-
gefühl war seiner Formenaufassung nicht völlig gewachsen. Bei
Rafael zuerst ist die Form durchaus schön, edel und zugleich geistig
belebt ohne Naehtheil des Ganzen. Kein Detail laräsentirt sich, drängt
sich vor; der Künstler kennt genau das zarte Leben seiner grossen
symbolischen Gegenstände und weise, wie leicht das Einzel-Interes-
sante das Ganze übertönt. Und dennoch sind seine einzelnen Figuren
das wichtigste Studium aller seitherigen Malerei geworden. Es lässt
sich kein besserer Rath ertheilen, als dass man sie (wo nöthig, auch
mit bewalfnetem Auge) so oft und so vollständig als möglich betrachte
imd nach Kräften auswendig lerne. Die Behandlung der Gewänder,
der Ausdruck der Bewegung in denselben, {die Aufeinanderfolge der
Farben und Lichter bieten wiederum eine unerschöpfliche Quelle des
Genusses.
Die S t a n z a d i E 1 io (10 r 0 , wahrscheinlich ganz oder fast ganz a
eigenhändig von Rafael ausgemalt in den Jahren 1511 1514, be-
zeichnet den grossen Schritt in das Historische. Es ist gewagt, aber
erlaubt zu ve-rmuthen, dass er sich nach den d r a m a tis c h b e W e g-