Seine peruginische und erste üorentinische Zeit.
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den Heiligen sehen uns vier, fünf Maler verschiedener Schulen neckend
entgegen.
Rafael liess sich nicht zerstreuen. Er fand unter den ilorentinisehen
Malern wie es scheint sehr bald denjenigen, welcher ihn gerade in
seiner Weise am meisten fördern konnte: den grossen Fra Bartolom-
meo, der nicht sehr lange vorher nach mehrjähriger Unterbrechung
sich von Neuem der Malerei zugewandt hatte. Dieser war meistens
mit ähnlichen Aufgaben beschäftigt, wie die Schule von Perugia, näm-
lich mit Gnadenbildern, nur löste er malerisch was diese ungelöst
liess; er stellte seine Heiligen und Engel nicht bloss symmetrisch
neben und durcheinander, sondern er bildete aus ihnen wahre Grup-
pen und belebte sie durch Contraste und durch grandiose körperliche
Entwicklung. Sein Einfluss auf Rafael war bestimmend; die Ab-
rechnung zwischen beiden möchte wohl das Resultat geben, dass Ra-
fael ihm die wesentlichste Anregung zur streng-architektonischen und
dennoch ganz lebendigen Compositionsweise verdankt habe. (Er hat
später, vgl. S. 881, d, auf den Frate zuriiekgewirkt.)
Die frühste Äusserung dieses Einflusses erkennlfman in dem
Frescobilde Womit Rafael 1506 eine Capelle des Klosters S. Se-il
vero in Perugia schmückte. Die Verschiebung des Halbkreises von
Heiligen, welche auf Wolken thronen, geht schon weit über den pe-
ruginisehen Horizont; hier ist nicht bloss Abwechselung der Charaktere
und Stellungen, sondern höherer Einklang und freie Grösse. Der
Contrast der obern peruginischen und der untern llorentinischen Engel
Spricht noch deutlich die damalige innere 'l'heilung des Künstlers aus.
In seinen Tafelbildern (vermutlilich) aus den Jahren 1504-1506
hat er noch mehr von der friihern Art an sich, so in der Madonna
mit 4 Heiligen und der dazu gehörenden obern Lunette im königLh
Schloss zu Neapel, auch noch in der Madonna del Granduca l).ß
Die Letztere hat noch ganz die stumpfe, befangene Draperie Peru-
ginds, ist aber im hohen Ausdruck des Kopfes und in der schönen
Anordnung des Kindes schon eine der grössten Machtäusserungen von
Als Privatbesitz des Grossherzogs von Toscana ist. sie hauptsächlich bei An-
lass des Copireus in einem der Säle der Galerie Pitti zu sehen. Den Som-
mer hindurch ist diess am häufigsten der Fall.