Volltext: Malerei (Nebst Register über alle drei Theile) (Bd. 3)

Oolorlt. 
Charaktere. 
Giov. Bellini. 
825 
An Fülle von Lebensmotiven erreicht diese Schule die Florenti- 
ner natürlich lange nicht, allein ihre Gestalten sind doch in der Regel 
leicht, selbst edel gestellt und bewegt. Der heil. Sebastian als ste- 
hende Aufgabe hielt die Zeichnung des Nackten in einer bedeutenden 
Höhe. Die Gewandung gehorcht zwar mehr den Gesetzen des Far- 
benganzen als einem höhern Liniengefühl; immerhin bleibt sie freier 
von kleinlichen Motiven und Überladnng als z. B. bei Filippino Lippi. 
Die Hauptsache sind aber dem Venezianer die Charaktere. Nicht 
zu scharfen und dadurch eifectreichen Contrasten, sondern als Töne 
eines und desselben Accordes stellte er sie zusammen; nicht iiberir- 
disches Sehnen, nicht jiiher Schmerz, sondern der Ausdruck ruhigen 
Glückes sollte sie beseelen; dieser, in energischen und wohlgebilde- 
ten Gestalten ausgesprochen, ist es, welcher den Sinn des Besehauers 
mit jenem innigen Wohlgefallen erfüllt, das keine andere Schule der 
Welt auf dieselbe Weise erweckt. Der Typus dieses Menschenge- 
schlechtes steht der Wirklichkeit noch so nahe, dass man es für mög- 
lich hält, solche Charaktere anzutreffen und mit ihnen zu leben. Ra- 
fael verspricht dergleichen nicht; abgesehen von der idealen Form 
stehen uns seine Gestalten auch durch hohe Beziehungen und Actio- 
nen ferner. 
Gio v. Be llini wird zwar von den meisten Genannten irgend ein- 
mal zur günstigen Stunde auch in den Charakteren erreicht, bleibt aber 
doch bei Weitem der Grösste. Wahrscheinlich gehört ihm schon (für 
Venedig) die neue Anordnung der Altarwerke an: statt der Theilung 
in Tafeln rücken die einzelnen Heiligen zu einer Gruppe um die thro- 
nende Madonna, zu einer „santa conversazione" zusammen, die von 
einer offenen oder mit einer Mosaiknische geschlossenen Halle (vgl. 
S. 261, Anm. 2) schön architektonisch eingefasst wird; zudem baut 
er auch seine Gruppe fast mit derselben strengen, schön aufgehobenen 
Symmetrie wie Fra Bartolommeo. Drei grosse Altarbilder ersten Ranges 
sind noch von ihm in Venedig vorhanden: in S. Giovanni e Paoloa 
(erster Alt. rechts), in S. Zaccaria (zweiter Alt. links, vom Jahr 1505),b 
und in der Academie. Das Beisammensein der heil. Gestalten, ohnec 
Affect, ja ohne bestimmte Andacht, macht doch einen übermenschlichen 
Eindruck durch den Zusammenklang der glückseligen Existenz so vie- 
ler freier und schöner Charaktere. Die wunderbaren Engel an den
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.