Volltext: Sculptur (Bd. 2)

Für die höchste und schwierigste Aufgabe der Sculptur, für die 
Bildung freistehender Gruppen, hat das Alterthum uns wenigstens 
eine Anzahl von mehr oder weniger erhaltenen Beispielen hinterlassen, 
in Welchen die ewigen Gesetze dieser Gattung abgeschlossen vor uns 
liegen, obwohl es nur arme, einzelne Reste von einem Gruppenreich- 
thum sind, von welchem sich die jetzige Welt keinen Begriff macht. 
Unter jenen Gesetzen sind einige, die auf den ersten Blick einleuch- 
ten: der schöne Contrast der vereinigten Gestalten in Stellung, Kör- 
peraxe, Handlung u. s. W.; die wohlthuenden Schneidungen und 
Deckungen; die Deutlichkeit der Action für die Ansicht von mehrern 
oder allen Seiten etc. etc. Schwer aber (und nur dem Bildhauer selbst 
möglich) ist das Nachfiihlen und Nachweisen des Gesetzmässigen in 
allem Einzelnen. Wir begnügen uns daher, nur flüchtig auf den Kunst- 
gehalt der in Italien vorhandenen antiken Gruppen hinzudeuten, und 
beginnen mit dem Einfachsten, (obwohl die Kunst vielleicht umgekehrt 
mit dem quantitativ Reichsten, den Giebelgruppen der Tempel, mag 
begonnen haben.) 
Zum Einfachschönsten gehören einige Werke, welche zwei Ge- 
stalten in ganz ruhiger geistiger Gemeinschaft darstellen. Das Aus- 
gezeichnetste in dieser Art, die sog. Gruppe von San Ildefonso, 
(die Genien des Schlafes und des Todes, nach 'der üblichsten Erklä- 
rung, traulich aneinander gelehnt) befindet sich jetzt in Madrid; ein 
aAhguss u. a. in der Academie de France zu Rom. 
h Ein ähnlicher schöner Sinn lebt in einer nur mittelmässig gear- 
beiteten Gruppe des Museums von Neapel (zweiter Gang), welche 
Orest und Elektra darstellt; sie stützt den linken Arm in die Hüfte 
und legt ihm den rechten über die Schulter; er lässt den rechten Arm 
hängen und gesticulirt mit dem linken. Contrast und Verbindung des 
nackten und des bekleideten Körpers sind hier von schönster Erfin- 
dung, der Ausdruck des trauten Verkehres vortrefflich mit wenigen 
Mitteln wiedergegeben. 
Wie hier Bruder und Schwester, so sind in einem berühmten 
c Werke der Villa Ludovisi zu Rom (Hauptsaal) Mutter und Sohn, in 
einem erregtern Moment, vielleicht des Abschiedes oder des Wieder-
	        
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