Volltext: Sculptur (Bd. 2)

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Barocksculptur. 
Idealtracht. 
Künsteleien. 
Die ideale Tracht aber verschlingt den Körper in ihrenwei- 
ten fliegenden Massen und flatternden Enden, von welchen das Auge 
recht gut weiss, dass sie factisch centnerschwer sind. Die Politur, 
womit Bernini und viele seiner Nachfolger das ideale Gewand, zumal 
himmlischer Personen, glaubten auszeichnen zu müssen, verderbt das- 
selbe vollends. Es gewinnt ein Ansehen, als wiire es  man erlaube 
die Vergleichung  mit dem Löffel in Mandelgallert gegraben. Thon- 
üguren sind desshalb oft leidlicher als marmorne. 
Bisweilen wurde aber auch auf ganz besondere Art-mit der Ge- 
Wandung gekünstelt. Eine der unvermeidlichen Sehenswürdigkeiten 
Neapels sind die drei von allen Neapolitanern (und auch von vielen 
aFremden) auf das höchste bewunderten Statuen in der Oapelle der 
Sangri, Duchi di S. Severo; sämmtlieh um die Mitte des vorigen 
Jahrh. gearbeitet. Von San Martino ist der ganz verhüllte todte 
Christus, eine Gestalt, welche zwar kein höheres Interesse hat, als 
das Durchseheinen möglichst vieler Körperformen durch ein feines Lin- 
nen, doch wird der Beschauer weiter nicht gestört. Von Corradini 
ist die ganz verhüllte sog. Pudicitia, mit Welcher es schon viel miss- 
licher aussieht; ein Weib von ziemlich gemeinen Idormen , die sich 
verrnöge der künstlichen Durchsichtigkeit der Hülle weit widriger auf- 
drängen, als wenn die Person wirklich nackt gebildet wäre i). Yon 
dem Genuesen Queirolo aber ist die Gruppe „il disinganno, die Ent- 
täuschung"; ein Mann (Porträt des Raimondo di Sangro) macht sich 
aus einem grossmächtigen Stricknetze frei mit Hülfe eines höchst ab- 
geschmackt herbeischwebenden Genius. Welche Marter an diesen 
Arbeiten auch die meisselgewandteste Virtuosenhand ausstehen musste, 
weiss nur ein Bildhauer ganz zu würdigen. Und bei all der Illusion 
ist der geistige Gehalt null, die Formengebung gering und selbst elend. 
Die Capelle ist noch mit andern Arbeiten dieser Zeit angefüllt. WVer 
von da unmittelbar zur Incoronata geht, kann mit doppeltem Erstaunen 
sich überzeugen, mit wie Wenigem das Höchste sich zur Erscheinung 
bringen lässt. 
l 
verhüllte "Wvalnrheit" 
4) Von demselben Corradini steht eine 
frin zu Venedig. 
in der Galerie Man-
	        
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