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Sculptur des XVI. Jahrhunderts.
tonische Partieh, Altäre, Grabmäler u. s. w. werden ihr jetzt oft aus-
schliesslich überlassen.-
Sie ist ferner freier in ihren Mitteln; die Lebensgrösse ihrer
Gestalten, im XV. Jahrh. eher Ausnahme als Regel, genügt jetzt nicht
mehr; das I-Ialbeolossale wird das Normale und das ganz Riesenhafte
kommt nicht selten vor.
Sie ist endlich freier im Typus. Die biblischen Personen wer-
den noch einmal nach plastischen Bedürfnissen umstylisirt, und auch
die mythologischen nichts weniger als genau den entsprechenden an-
tiken Bildungen nachgeahmt. Die Allegorie geht vollends geradezu
in das Unbedingte und Schrankenlose.
Diese viele Freiheit musste nun aufgewogen werden durch die
freiwillige Beschränkung, welche der hohe plastische Styl sich selber
auferlegt, durch Grösse innerhalb der Gesetzlichkeit. Der Geist des
XV. Jahrh. in der Sculptur War vor allem auf das Wvirkliche und
Lebendige gerichtet gewesen, das cr bald liebenswürdig, bald unge-
stüm, oft mit hoher Ahnung der obersten Stylgesetze, oft roh und
fessellos zur Darstellung brachte. Dieses Wirkliche und Lebendige
sollte nun in ein Hohes und Schönes verklärt werden.
Hier trat das Alterthuni noch einmal begeisternd und befreiend
ein. Ganz anders als zur Zeit Donatellds und der alten Paduaner,
Welche der Antike ihren decorativen Schein als Hülle für ihre eigenen
Gedanken abnahmen, erforschten jetzt einige Meister das Gesetzmäs-
sige der alten Plastik. Es war vielleicht ein kurzer Augenblick;
nur sehr wenige thaten es ernstlich; bald überwog iiusserliche manie-
rirte Nachahmung nach den Werken dieser Meister selbst, wobei so-
"wohl das Alterthum, als das bisher eifrig gepflegte Studium des Nack-
ten halb vergessen wurden; nichtsdestoweniger blieben von der
empfangenen Anregung einige kenntliehe Züge zurück: die Absicht
auf grossartige Behandlung des Nackten und die Vereinfachung der
Zuthatexi, hauptsächlich der Gewandung. (Innerhalb der einfachen
Draperie hielten sich freilich die vielen und überflüssigen Faltenmo-
tive mit Hartnäckigkeit.) Sodann beginnt mit Andrea Sansovino, wie
wir sehen werden, die ebenfalls dem Alterthum entnommene b ewus ste
Handhabung des Gegensatzes der einzelnen Theile der Gestalt, das
Hervortreten der linken gegen die rechten, der obern gegen die unteru