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Antike Sculptur.
Typen.
Tempelstyl.
so verlangte man durchaus den Eindruck eines unversellrten Ganzen.
Eine Menge Torsi, die man jetzt als Fragmente aufstellen würde, sind
in jener Zeit zu vollständigen Statuen restaurirt worden. Die medi-
ceische Sammlung enthält deren besonders viele.
Die Typen oder Darstellungsweisen der Gestalten der alten Kunst,
namentlich der Götter und I-Ieroen, erhielten ihre bleibende Ausbildung
in der höchsten Blüthezeit des Griechenthums, im V. und IV. Jahr-
hundert v. Chr., von Phidias bis Lysippus. Auch später zwar kam
noch manche einzelne neue Gestalt, manche mehr auf das Zierliche
gerichtete Auüassungsweise hinzu, und selbst die Zeit Hadrians schuf
noch aus dem Bilde eines Menschen das Antinous-Ideal; doch über-
wiegen bei weitem die aus jener frühern grossen Epoche überkomme-
nen, mehr oder weniger frei wiederholten Typen.
Daneben erhielt sich aus den Zeiten vor Phidias, ja zum Theil
aus hohem Alterthum ein früherer, feierlich-befangener Styl, der sog.
hieratische oder Tempelstyl. Werke aus der alten Zeit der
wirklichen Herrschaft desselben sind in Italien äusserst selten; ausser
den Metopen des Tempels von Selinunt u. a. sicilischen Bruchstücken
1 wird man etwa noch das Relief eines verwundeten Kriegers im Mu-
seum von Neapel (Nebenraum des dritten Ganges) und dasjenige der
b Leucothea in der Villa Albani zu Rom (Zimmer der Reliefs) namhaft
machen können. Sehr häuiig sind dagegen die später und absichtlich
in diesem Styl gearbeiteten Seulpturen, namentlich die Reliefs an Al-
tären; auch Statuen dieser Art kommen nicht selten vor, und für ge-
wisse Typen, wie z. B. für den bärtigen Bacchus blieb die hieratische
Darstellungsart sogar die allein herrschende.
Was konnte die Griechen und später die Römer bewegen, neben
ihrer freien und grossen Kunst diese befangnere Gattung mit Willen
festzuhalten? Zuerst war es gewiss die Ehrfurcht vor den Ceremonien,
welche sich seit unvordenklichen Zeiten an Götter, Weihgeschenke
und Altäre dieses Styles geknüpft hatten. Später erhielt derselbe den
Reiz des Alterthümliehen und Einfachen und die Kunst bemühte sich,