Römische Porträtkunst.
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Menschen , nicht mit Büchern und Geschäften allein sich dem Antlitz
allmälig aufprägt.
Wie in allen guten Zeiten der Kunst, so wusste auch bei den
Römern der Bildhauer nichts von künstlichem Versüssen und Inte-
ressantmachen derer, welche sich abbilden liessen. Es giebt eine grosse
Menge von Grabden kmtilern meist untergeordneten Werthes, welche
Mann, WVeib und Kind in erhabenen Halbfigureu innerhalb einer Nische
darstellen. (Eine Jiuswahl im Vatican: Gal. lapidaria; ein sehr schö-a
Ixes im Zimmer der Büsten; eine ganze Anzahl im Hof des Palazzob
Mattei; in der Villa Borghese, Zimmer des Tyrtäus, drei ganze Figu-c
ren in Relief, eine Mutter mit zwei Söhnen tlarstellend; ebendort zeigt
die liegende Statue einer Jungfrau, dass ailch die späte Kunst wah-
rer Schönheit ihr Recht unzuthun suchte; eine Anzahl geringerer
Grabmonumente im Museum von Neapel, Halle des farnesisehen Stie-d
res.) In diesen bescheidenen Denkmalerxi hat die Naivetät, womit
auch die hässlichen und unbedeutenden Züge, ja die weitabstehenden
Ohren wiedergegeben sind, etwas wahrhaft Rührendes und Gemiith-
liebes. Aber auch in denBüsten und Standbildern der besten
römischen Arbeit ist so wenig Geschmeicheltes, dass man der römi-
schen Kunst sehon eine allzu herbe und nüchterne Darstellung des
Wirklichen vorgeworfen hat. Der Vergleich mit jenen halbidealen
griechischen Köpfen und Statuen von Fürsten, Dichtern und Philo-
sophen ist indess ein unbilliger, weil der römische Künstler nicht längst-
verstorbene grosse liliinner, sondern den Ersten Besten porträtiren
musste; an seinen vergötterten Kaisern hat er bisweilen das irgend
Mögliche von höherer monumentaler Auffassung geleistet, und wenn
wir die Statuen eines V irgil, eines Iloraz aus der Kaiserzeit besässen,
So würden wir darin vielleicht etwas ebenso Hohes ausgedrückt {in-
den als in den Aristides, Euripides, Demosthenes u. s. w., welche als
Muster von Idealbildnissen mit Recht gefeiert werden 1). Ihre theil-
weise Nacktheit und sehr frei gewählte Gewandung hätte sich der
römische Künstler zu analogen Zwecken auch aneignen können.
Die lialbideale Statue einer römischen Dichterin (wenn wir eine unlängst ge-
fundene Figur unter Lebensgrösse im Braccio nuovo des Vaticans richtig so!
deuten) würde zu einer solchen Annahme einigermassen berechtigen.