Die Ausdrucksweise im Detail. 359
Leidenschaft ausdrücke; man will sie erreichen durch Derbheit und
Vervielfachung. Von der perspeetivischen Nebenabsicht, die sich da-
mit verbindet, wird bei den Fassaden die Rede sein.
Eine nahe Folge dieser Derbheit War die Abstumpfung des Auges
für alle feinern Nuancen. Auf eine merkwürdige Weise tritt diess
zu Tage, sobald der Ausdruck der Pracht verlangt wird. Man sollte
erwarten, dass die Baukunst der römischen Kaiserzeit all ihren vege-
tabilischen und sonstigen plastischen Reichthunl hätte herleihen müs-
sen, die Cannelirilngen ihrer Säulen, die ornamentirten Basen, die
Bliittcrrcihen ihrer Architrave, den Prachtschmuck der Friese, endlich
jene plastische Detailfülle ihrer Kranzgesimse, zumal Consolen und
Rosetten. Dies Alles kommt aber nur stellenweise und kaum je
vollständig zur Anwendung, meist dagegen nur in dürftig-cm Excerpt.
In ganz andern Dingen wird der Reiz für das Auge gesucht, welcher
der Pracht entsprechen soll: die Bauglieder selbst, olme ornamentales
Detail, aber mit durchgehenden, oft sinnlosen Profilirungen aller Art
überladen, kommen in Bewegung; hauptsächlich die Giebel beginnen
seit Bernini und Borromini sich zu brechen, zu bäumen und in
allen Richtungen zu schwingen. An einzelnen besondern Prachtstiicken,
wie Altäre u. s. w. werden gewundene Säulen beinahe zur Regel.
Wie die Farbigkeit rler Steine und Metalle zur Mitwirkung benützt
wurde, soll weiter erörtert werden. Endlich bringt um 1700 der
Pater Pozzo diese ganze neue Art von Decoration in ein System,
das, im Zusammenhang mit jener durchgehenden laerspectivischen Ab-
sicht vorgetragen, Wahrhaft lehrreich ist, obschon die Mittel, einzeln
genommen, zum Theil abscheulich heissen müssen.
Wo dann eine wahre bauliche Function deutlich markirt werden
soll, wciss dieser Styl sich natürlich nur noch in unverhältnissmässig
massiven Formen auszusprechen. Man vergleiche, um mit einem klei-
nen Beispiel zu beginnen, die colossalen Deckenconsolen in S. Mariaa
in via lata zu Rom mit den so miissigen, Welche in alten Basiliken
den Dachstuhl tragen.
Selten aber ist es mit dem Ausdruck von Functionen ernstlich ge-
meint. Vielmehr bekommen die einzelnen Formen ein von allem Or-
ganismus unabhängiges, später ein krankhaftes Leben. Man findet z. B.
bei Pozzo eine Sammlung von Thür- und Fensteraufsittzen, wie sie
B. Cicerone. 24