Tempel von Pästum.
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ses wunderbaren Baues ausmacht, bezeichnen können. Obwohl eines
von den besterhaltenen Denkmälern seiner Art, verlangt er doch ein
beständiges geistiges Restauriren und Nachfühlen dessen was fehlt und
dessen, was nur für die aufmerksamste Pietät noch sichtbar ist. Wie
ganz anders würde er auch zum äussern Auge sprechen, wenn er noch
mit allen Sculpturen seiner Giebel und Metopen, mit den Dachzierden
(Akroterien) von Laubwerk und Statuen, mit den Löwenköpfen des
Iiranzgesimses, mit dem jetzt so fraglichen Farbenschmuck, innen aber
mit dem Bild Poseidows und den Weihgeschenken geretteter Seefahrer
geschmückt wäre! Unsere Vorstellung von Kunstvermögen der Grie-
chen steigert er aber schon in seinem jetzigen Zustande auf das höchste.
Vielleicht blickt ein scharfes Auge die einzelnen Seiten im Profil
entlang und findet, dass keine einzige mathematisch gerade Linie an
dem ganzen Bau ist. Man wird zunächst an ungeschickte Vermessung,
an die Wirkung der LEh-dbeben und Anderes der Art denken. Allein
wer z. B. sich der rechten Ecke der Vorderseite gegenübersteht, so
dass er das obere Kranzgesimse der Langseite verkürzt sieht, wird eine
Ausbeugung desselben von mehrern Zollen entdecken, die nur mit Absicht
hervorgebracht sein kann. Und Ähnliches findet sich weiter. Es sind
Äusserungen desselben Gefühls, welches die Anschwellung der Säule
verlangte und auch in scheinbar mathematischen Formen überall einen
Pulsschlag innern Lebens zu offenbaren suchte.
Die beiden andern dorisehen Tempel von Piistum sind aus einer
Viel SPäfwm, ausgearteten Epoche der dorischen Baukunst, die man
der Zeit nach vielleicht in das III. Jahrhundert v. Chr. verlegen
kann. Der Eindruck ist indess immer ein solcher, dass sie ohne die
Nachbarschaft des Poseidonstempels zu den herrlichsten Bauten des
italischen Festiandes gehören würden. Sie sind weniger gut erhalten,
besitzen aber wenigstens den ganzen äussern Säulenkranz und Archi-
trave ohne Unterbrechung.
An dem sog. Cerestempel fällt zunächst eine abweichende Bil-a
dung der Säule auf, welche wie aus weicherm, minder elastischem
Stoffe geschaffen scheint. Dies drückt sich aus in der viel stärkern
Ausbauchung des Schaftes und in der breitvvuistigen Bildung des Echi-