Volltext: Architectur (Bd. 1)

Die Ausartung. 
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in Rom erleichterte Wahrscheinlich die rasche Verbreitung der ohnehin 
leicht mittheilbaren Deeorationsmotive, die man denn auch an weit 
auseinander gelegenen Orten bisweilen fast identisch wieder findet. 
Eine grosse Umwandlung trat, wie wir sehen werden, mit der 
Entdecktmg der Titusthermen ein. Das neue, aus Malerei und Plastik 
wunderbar gemischte System, welches man ihnen, vielleicht auch an- 
dern Resten entnahm, fand seinen reichsten und schönsten Ausdruck 
in den Loggien des Vatieans. 
Von dieser Leistung an geht es rasch abwärts. Sowohl die ge- 
malte, als die in Marmor und Stucco gebildete Decoration wird rast 
plötzlich nicht mehr mit derjenigen Liebe zum Einzelnen behandelt, 
welche ihr bisher zu Statten kam; sie geriith in eine völlige Abhan- 
gigkeit von den grossen baulichen Gesammteüekten, welche sich nicht 
mehr durch zierliches Einzelnes wollen stören lassen; sie muss der 
Architektur ihre inzwischen empiindungslos und willkürlich gewordene 
Proiilirung, ihre Behandlung der Flächen u. s. w. nachmachen, anstatt 
durch Reichthimi gegen ein einfacheres Ganzes contrastiren zu dürfen. 
(Diess ersetzt sich gewissermassen durch den grössern Massstab der 
plastischen Figuren, welche jetzt erst in bedeutender Menge lebens- 
gross und selbst colossal verfertigt werden.)  Innerhalb der Ver- 
zierimgsweise selbst zeigt sich ebenfalls grosse Entartung. Das von 
Rafael so genau abgewogene Verhiiltniss des Figiirlichen zum bloss 
Omamentistisehen und beider zur Einrahmung geriith ins Schwanken; 
ersteres wird unrein und oft burlesk gebildet (z. B. die Masken jetzt 
als Fratzen); letzteres verliert in den vegetahilischen Theilen den 
schönen, idealen Pilanzenelxarakter, dessen Stelle jetzt eine eonven- 
tionelle Verschwollenheit einnimmt; ein allgemeiner Stoff, einem ela- 
stischen Teige vergleichbar, wird in Gedanken willkürlich voraus- 
gesetzt. (Schr kenntlich ausgesprochen in den sog. Cartcuchen, bei 
welchen man sich vergebens frägt, in welchem Material sie gedacht 
seien.)  Im Verlauf der Zeit wird die ganze Gattung wieder von 
der Architektur lmd von der Seulptur absorbirt; d. h. die Gegen- 
stände selbst, Altäre, Kanzcln, Grabmäler, Thilrpfosten u. s. w. werden 
fortdauernd in Masse gefertigt, aber sie haben keinen eigenen, abge- 
schlossenen Styl mehr, sondern sind Anhängsel der beiden genannten 
Künste.
	        
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