Architektur.
Tempel von Pästum.
Den ältesten griechischen Tempeln wie z. B.: demjenigen von Ocha.
auf Euböa, genügte ein Bau von vier Steinmauern. Als aber eine
griechische Kunst erwachte, schuf sie die ringsum gehende Säulenhalle
mit dem Gebälk, zuerst vielleicht von Holz, bald von Stein. Diese
Halle ist, abgesehen von ihren besondern Zwecken, nichts als ein idea-
ler, lebendig gewordener Ausdruck der Mauer selbst. In wunderbarer
Ausgleichung wirken strebende Kräfte und getragene Lasten zu einem
organischen Ganzen zusammen.
Was das Auge hier und an andern griechischen Bauten erblickt,
sind eben keine blossen Steine, sondern lebende Wesen. Wir müssen
ihrem innern Leben und ihrer Entwicklung aufmerksam nachgehen.
Die dorische Ordnung, welche wir hier in ihrer vollen alterthüm-
liehen Strenge an einem Gebäude des VI. Jahrhunderts v. Chr. vor
uns haben, lässt diese Entwicklung reiner und vollständiger erkennen
als ihre jüngere Schwester, die ionische.
Der Ausdruck der dorischen Säule musste hier, dem gewaltigen
Gebälke gemäss, derjenige der grössten Tragekraft sein. Man konnte
möglichst dicke Pfeiler oder Cylinder hinstellen, allein der Grieche
pflegte nicht durch Massen, sondern durch ideale Behandlung der For-
men zu wirken. Seine dorisehe Ordnung aber ist eine der höchsten
Hervorbriilgungcn des menschlichen Formgefühls.
Das erste Mittel, welches hier in Betracht kam, war die Verjün-
gung der Säule nach oben. Sie giebt dem Auge die Sicherheit, dass
die Säule nicht umstürzen könne. Das zweite waren die Cannelirim-
gen. Sie deuten an, dass die Säule sich innerlich verdichte und ver-
härte, gleichsam ihre ICraft zusammennehme; zugleich verstärken sie
den Ausdruck des Strebens nach oben. Die Linien aber sind wie im
ganzen Bau nirgends, so auch in der Säule nicht mathematisch hart;
vielmehr giebt eine leise Ansehwellung das innere schaffende Leben
derselben auf das Schönste zu erkennen.
So bewegt und beseelt nähert sich die Säule dem Gebälk. Der
mächtige Druck desselben drängt ihr oberes Ende auseinander zu einem
Wulst (Echinus) , welches hier das Capitäl bildet. Sein Profil ist in
jedem dorisehen Tempel der wichtigste Kraftmesser, der Grundton des
Ganzen. Nach unten zu ist er umgeben von drei Rinnen, gleich als
verschöbe sich hier eine zarte, lockere Oberhaut der Säule. Ihnen ent-