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Romanische Architektur.
Dom von Pisa.
nach vielhundertjährigem I-Ierumirren in den Wirkungen des Details
hat die Baukunst wieder ein wahres Compositionsgefühl im Grossen
errungen; sie weiss wieder bei grossen dominirenden Hauptlinien in der
Einfachheit reich zu sein. Von den niedrigen Nischen der etwas höhern
Querarme aus leitet sie den Blick empor zum First des Hauptschiffes
und zur Kuppel, und giebt als mittlere reiche Schlussform die präch-
tige Chemische mit ihren Galerien.
Im Innern ist der Dom eine fünfschifiige Basilica und ruht auf
lauter antiken Säulen (deren Capitäle seit ihrer Überarbeitung mit
Gyps für die Untersuchung meist verloren sind), theilt sonach die hem-
menden Bedingungen der römischen Basiliken. Aber ein neuer Geist
hat sich das gegebene Material dienstbar gemacht, um daraus vor
Allem einen schlanken Hochbau zu schaffen. Nach römischer Art hätten
bei dieser Breite drei Schiffe genügt; hier sind es fünf , von enger
Stellung, die vier äussern gewölbt; der zweiten niedrigern Siiulenreihe
ist durch Überhöhung der Bogen nachgeholfen. Statt der hohen Ober-
Wände und ihres Mosaikschmuckes sieht man dann die herrliche luf-
tige Galerie von Pfeilern (gleichsam Repräsentanten der Mauer) und
Bogen, in der Mitte von Säulen gestützt. Schon einzelne römische
Basiliken haben Obergeschosse; auch die Oströmer liebten solche obere
Galerien, allein sie versäumten, ihnen durch diese leichtere Behandlung
den lokalen Charakter zu geben. Das Querschilf endlich wurde hier
zum crstenmal an einer Basilica dreischifiig gestaltet, um dem
Eindruck des Hohen und Schlanken treu zu bleiben; es bildet mit sei-
nen Schluss-Nischen gleichsam zwei anstossende Basiliken. Vielleicht
mehr aus praktischen als ästhetischen Gründen führte der Baumeister
die durchsichtige Galerie auf beiden Seiten quer hindurch nach dem
Chor zu, und schuf damit jenen geheimnissvoll prächtigen Durchblick
in die Querarme. Welches Quadrat aber sollte nun als Basis der
Kuppel angenommen werden, die man hier zum erstem-mal mit dem
Basilikenbau zu combiniren wagte? Langhaus und Querbau schneiden
sich in ungleicher Breite, man nahm die ganze Breite des letztern und
die des Hauptschiifes des erstern und so ergab sich die merkwürdige
ovale Kuppel, die Später noch eine gothische Aussengalerie erhielt.
Während des Baues reinigte sich der Styl. Wir dürfen z. B.
annehmen, dass die schon sehr gut gegliederte Galerie im Innern zu