Volltext: F - L (Bd. 2)

Greuze. 
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seinem bereits als bedeutend anerkannten Talente erwarten konnte, dass man 
Anstand nahm, ihn für den Urheber desselben zu halten, bis weitere, noch bemerkens- 
werthere Gemälde jeden ungerechten Verdacht verscheuchten und seinen Ruf fest 
begründeten. Mit seinem Bilde: der getäuschte Blinde, erwarb er sich von der 
Akademie eine Reiseunterstützung nach Rom, wohin er im Jahr 1755 abreiste. 
Wieder nach Paris zurückgekehrt, stellte Grenze im Jahr 1757 nur Gegenstände 
aus, welche dem italienischen Volksleben entnommen waren. Man fand aber, dass 
ihn die nur einjährige Reise in Italien nicht nur nichts genützt, sondern dass sie 
eher seine Originalität beeinträchtigt, ohne ihn dafür durch neue Vorzüge zu ent- 
schädigen. Es verging auch eine geraume Zeit, bis er das Joch der Nachahmung, 
das er sich selbst auferlegt, wieder abgeschüttelt und seine Eigenthümlichkeit sich 
wieder frei herausgearbeitet hatte. Da er sich dem Gebrauche der Akademie , wel- 
cher demjenigen, welcher Mitglied derselben zu werden wünschte, die Wahl des 
darzustellenden Stoffs nicht frei liess, sondern denselben selbst verschrieb, nicht 
fügen und lieber auf die Ehre verzichten wollte, Akademiker zu werden, untersagte 
ihm die Akademie, seine Bilder künftig im Louvre aufstellen zu dürfen. Man sah 
auch wirklich auf den Ausstellungen von 1766-1768 kein Gemälde von ihm. End- 
lich entschloss er sich doch, ein Bild im sogenannten historischen Genre auszuführen. 
Er wählte als Gegenstand der Darstellung den Kaiser Severus, der seinem Sohne 
Vorwürfe macht, dass er ihn in einem Engpasse von Schottland habe ermorden 
wollen, allein da der gewählte Stoff allen Gewohnheiten seiner Darstellungsweise 
widerstrebte, blieb er unter seiner Aufgabe und gab dadurch seinen Neidern Ver- 
anlassung zu erneuten Anfeindungen Er wurde zwar zum Mitglied der Akademie 
ernannt, allein nur als Genremaler. Diese Ernennung erregte Aufsehen und Greuze, 
erbost darüber, stellte nicht eher wieder aus, bis die Revolution sämmtlichen Künstlern 
ohne Ausnahme die Ausstellungssäle des Louvre geöffnet hatte. Aber es war zu 
spät für seinen Ruhm. Hand und Auge, durch das Alter geschwächt, waren nicht 
mehr im Stande, dem Fluge seiner immer noch lebendigen und frischen Einbildungs- 
kraft zu folgen. Ueberdiess war auch in der Kunst eine Revolution ausgebrochen. 
Heroische Gegenstände, der griechischen oder römischen Geschichte entnommen, die 
Götter des Olymps, hatten die Gottheiten der Boudoirs, die stillen gemüthlichen 
Fainilienscenen, entthront. Statt nun aber in Ruhe die Früchte seines früheren 
Kunstileisses, der ihm eine nicht unbeträchtliche Summe eingetragen, geniessen zu 
können, sah sich der 75jährige Greis , in Folge der Verluste und Bankrotte, welche 
die Revolution in ihrem Gefolge gehabt hatte, plötzlich an den Bettelstab gebracht. 
Er rief umsonst das öffentliche Mitleid um Bestellungen an , er ward nicht erhört und 
starb im Elend. 
Grenze entlehnte alle Motive zu seinen Bildern dem häuslichen Leben der 
mittleren und unteren Klassen der französischen Gesellschaft, und brachte bei ihrer 
Darstellung alle Vorschriften für das Drama in Anwendung, welche Diderot, gSeill 
Freund, auf der Bühne eingeführt hatte. Man muss auch gestehen, dass das Melo- 
dramatische, welches in allen seinen Compositionen verwaltet, soviel, wenn nicht 
mehr, als sein wirkliches Talent zum Erfolg seiner Gemälde beigetragen. ES herrscht 
in denjenigen von seinen Werken, welche nicht zu jenen gefälligen, aber üPPiEen 
und versehwommenen Darstellungen junger Mädchen u. s. w. gehören, in denen er 
sich der herrschenden Richtung seiner Zeit im Sinne Boucher's anschloss, 3815 
heisst in jenen rührenden und moralisirenden Familiengemälden ein Pathos, ein 
Humor, eine Gemüthlichkeit und Sentimentalität, welche lebhaft an Sterne erinnert. 
Freilich sind nicht alle von gleicher Unbefangenheit der Auffassung und nicht selten 
verfallt Grenze auch in's Theatralische, wie Diderot in seinen Rührspielen: nder 
Familienvater", der "natürliche Sohn" u. s. w. Doch hält er dabei immer das 
Nationalfranzösische so fest, wie Wilkie in seinen treiflichen Bildern das Englische. 
Die Motive sind meist glücklich gefunden, wahr und lebendig, der Ausdruck ist, 
treffend und fein gefühlt; seine Formen sind gewählt und seinen Köpfen wusste er 
anmuthsvolle Bewegungen zu verleihen, nur wiederholt er sich zu oft in seinen
	        
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