Volltext: F - L (Bd. 2)

Goltzius , Heinrich. 
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Technik anbetrifft, zu einer höheren Stufe. Durch seine Bestrebungen war dem 
Kupferstich zuerst das Feld erölfnet worden, auf welchem seine eigenthümliche Be- 
deutung sich entwickeln sollte, die darin besteht, die Leistungen der höheren Kunst 
mit selbstständig künstlerischer Gültigkeit nachzubilden und , gleich ihnen , die volle 
Durchbildung der Form, alle Unterschiede des Stodlichen in der Erscheinung und 
selbst den Anschein der Farbe wieder zu geben. Er förderte jene plastische 
Behandlungsweise, die bei den älteren Italienern bis daher nur mehr in Andeutungen 
bestanden hatte, zu einer wundersamen Ausbildung, indem er durch den Schwung 
und die Bewegung seiner Schattenlinien, durch ihr Anschwellen und Verschwinden, 
durch die verschiedene Weise ihrer Durchschneidung allen Gesetzen der Modellirullg 
auf's Genaueste zu folgen wusste. Der geistige Gehalt seiner Werke ist allerdings 
gering; aber man möchte fast sagen, ohne solchen Mangel wäre es kaum möglich 
gewesen, zu einer so freien Herrschaft über den Stoff gelangen zu können. In seinen 
Blättern ist die bisherige Schüchternheit des Stichels durch ein Uebermass von Kühn- 
heit überwältigt und die materielle Arbeit der Strichmanier unter Anwendung eines 
im Allgemeinen breiten Stiches auf ihren Gipfel gebracht. Wir bewundern die Frei- 
heit seiner Schraffirungen, die Glätte und Reinheit seiner Striche, die Gewandtheit 
in den Lagen derselben. In zarter Arbeit verschmelzen die feinsten Striche vor den 
Augen zu leichten und durchsichtigen Schatten, wie es wiederum in des Künstlers 
Gewalt stand, den Strichen Bewegung zu ertheilen, ohne dass sie ausschweifend 
gezogen sind, seine Köpfe durch geistreichen und verständigen Ausdruck zu beseelen, 
und den feineren Stich so gehörig mit dem gleichfalls an seiner richtigen Stelle an- 
gewendeten kräftigeren in Einklang zu bringen, dass die dargestellten Gegenstände 
nicht bloss ihren wahren Charakter erhielten, sondern nöt-higenfalls auch den reizen- 
den Eindruck einer der Wahrheit sich nähernden Farbe hervorbrachten. Das Talent, 
den Charakter des Stiches nach Willkür zu verändern, seine ausserordentliche Meister- 
schaft, die mit dem Instrumente spielte, überhaupt seine Vortreiflichkeit in allen 
Stichmanieren zeigen insbesondere die sogenannten „sechs Meisterstücke des Heinrich 
Goltzius" , in denen er, ausser dem genauen Eingehen auf das Charakteristische des 
Originals, darzuthun suchte, dass ausser der sonst von ihm angewandten breiten 
Manier auch die zartere älterer Meister, eines Dürer's und Lucas von Leyden, 
ihm zu Gebot stand. In der Verkündigung (1594) wähnte er, Raphaehs Styl 
wiedergegeben zu haben; die Heimsuchung Mariä (1593) führte er in der Art des 
Parmigianino, die Anbetung der Hirten (1594) in Bassano's, die heilige Familie 
(1593) in Baroccio's Manier aus; die Anbetung der Könige arbeitete er in Lucas 
von LeydeIYS, die Beschneidung (1594) in Dürer's Geschmack. Ueberall, rwo 
es auf die leichte und geschickt geführte Stichelarbeit, auf Erreichung künstlerischer 
Fertigkeit, auf die Festigkeit, das Fliessende, auf die gleiche Weite des Striches, 
überhaupt auf das Materielle der Technik ankommt, ist Goltzius einzig. Der Gegen- 
stand geht ganz in der Technik verloren und erregt unser Erstaunen. Wo er aber 
Werke wiedergibt, in denen das allein vorherrschende Geistige Technik und Dar- 
Stellung bedingt, Wird 91' lnisSfällig. Man sieht zu sehr das allzusichtbare Streben, 
sich als geschickten Stichelführer zu zeigen, das ihn zu einer absichtlichen, zu weit 
gehenden Kühnheit, Zn eine? nnangenehm auffallenden Bizarrerie trieb. Auch stört 
der so häufige, durch die allzugrosse Nachlässigkeit und Unkunde des Helldunkels 
herbeigeführte Mangel an ÜehßTeinStimmung in der Wirkung. Ueberdiess war Seine 
durchaus gleiche, reine, im verschobenen Viereck gekreuzte, kühn bewegte Grab- 
stichelarbeit den dargestellten Gegenständen nicht immer förderlich; dieselbe schadete 
Vielmehr, namentlich bei grösseren Figuren , wo die Behandlung zu breit wird, weil 
den zu weiten Zwischenräumen die Abtönung durch Zwischenpunkte oder Zwischen- 
linien abgeht. Trgtz allen diesen Fehlern ragt jedoch Goltzius weit. über seine Zeit- 
genossen hervor und ihm gebührt der Ruhm, die Kupferstecherkunst ihrer Vervoll- 
kommnung und Vollendung um ein Bedeutendes näher gerückt zu haben. 
Seine besten Schüler waren: Jaküh de Gheyn, de? ältere, Jakob Matham, 
Jan Müller und Jan Saenredam.
	        
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