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Giotto.
sind als von ihm herrührend zu betrachten. Composition und plastischer Styl er-
regen indessen hier ein geringeres Interesse als der Inhalt, welcher eine Art von
Encyclopädie alles profanen und heiligen Thuns der Menschen zu geben sucht. An
der Faeade des Doms stellte er in den Haupteingang in vier Nischen die Kolossal-
Statuen der vier Evangelisten; über demselben brachte er die Madonna mit dem
Kinde, umgeben von dem heil. Zenobius und der heil. Reparata, in einer reichver-
zierten Kapelle an. In einer zweiten Kapelle über der kleineren Thüre zur Linken
sah man die Geburt des Heilandes, in einer dritten über der zur Rechten den Tod der
Maria. Zwischen und über den Thüren standen in einzelnen Nischen die Propheten
des alten Bundes, die Apostel und die Kirchenlehrer. Dann erhoben sich zwischen
Säulen und bunten mit schönen Reliefs gezierten Marmorfeldern Reihen von Loggien
und Nischen, in denen Päpste und Fürsten, Helden und Dichter, die sich um das
Wohl des allgemeinen Lebens überhaupt, oder speziell um das der Republik verdient
gemacht, thronten und auf das Volk herabschauten.
Auch als Dichter lernen wir Giotto kennen. Wir besitzen von ihm eine Can-
zone (mitget-heilt_ in Rumohfs Jtalienischen Forschungen"), die uns den Künstler
als einen Dichter zeigt, der seine poetischen Gedanken auch in der Sprache klar
und wohl auszudrücken verstand.
Giotto stand in einem intimen Freundschaftsverhältniss zu Dante, den er zum
öfteren malte, während dieser den Freund in seinem berühmten Gedichte in jener
bekannten Strophe verherrlichte:
Credette Cimabue nella pittura
Teuer lo campo, ed ora ha Giotto il grido,
Si che la fama. di colui e oscura.
Es meinte Cimabue vordem im Malen
Das Feld zu halten, doch jetzt preisst man Giotto,
Also dass Jenes Ruhm versinkt in Dunkel.
Ueberhaupt muss Giotto mit seinem hellen, klaren, frischen, besonnenen Blick in's
Leben, mit seinem aufgeweckten Kopfe und seinem treffenden Witz, neben Seiner
Leichtigkeit, Fruchtbarkeit, Vielseitigkeit und fast beispiellosen Thätigkeit als
Künstler eine hinreissende Persönlichkeit besessen haben, die fast alle Talente eines
grossen Landes so an sich zu ziehen wusste, dass es gewissermassen zu seiner Zeit
nur eine einzige Schule in ganz Italien gab. Ja, vergegenwärtigen wir uns, was
Giotto alles in Neapel, Rom, Assisi, Florenz, Padua, Avignon geleistet, bedenken
wir, dass er als der erste Meister der neuen Kunst das Reich des Geistes überhaupt
bedeutend erweiterte, so dürfen wir nicht anstehen, ihm einen Ehrenplatz in der
Geschichte der Menschheit überhaupt einzuräumen, und so übertrieben auch im
Ganzen seine von Poliziano verfasste _Grabschrift im Dom von Florenz sein mag, das
eine daraus ist wahr geblieben:
quid opus fuit illa referre?
Hoc nomeu lougi carminis instur erit.
Wozu seine Werke nennen?
Sein Namen wird ewig so viel sein als ein langes Gedicht.
Ausser den bereits genannten Werken Giotto's führt man wenige andere Ge-
mälde als Werke Giottds an. Das Berliner Museum besitzt die zwei (oben erwähn-
ten) iiir S. Croce gemalten Bilder: Maria, welche das bekleidete Christuskind, das
die Rechte der Mutter fasst, auf dem Arme hält, und die Ausgiessung des heil. Geistes
auf die Apostel und Maria. Im Louvre zu Paris hält, man einen heil. Franciscus, der
die Wundenmale empfängt, mit einer Predella, auf welcher man drei Vorgänge aus
dem Leben dieses Heiligen dargestellt sieht, für das oben genannte für Pisa, gemalte
Bild; iVaagen iindet es aber viel zu roh für den Meister und will es nur als ein
schwaches Schulbild nach seinem Motiv gelten lassen. Die Gemäldesammlung des
Dichters Rogers zu London verwahrt dagegen von Gißtt-O die halben Figuren des
Paulus und Johannes, Fragmente einer Frescomalerei aus der Karmeliterkirche Z1!
Flüfelll- Ebenso ist die Liverpool-Institution im Besitz Zweier Bilder des Meisters-
Das eine stellt drei Frauen mit Johannes, dem Täufer, als Kind, ein ächtes, Sehr
interessantes Gemälde (gest. v. Patsch), das andere, die Tochter der Herodias,