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Ghirlandajo , Ridolfo.
jede Gestalt der Umgebung würdig, in die sie der Meister versetzt hat. Die Motive
sind klar, scharf und leicht anschaulich. Der F altenwurf der jeweiligen Haltung des
Körpers vollkommen entsprechend. wohl berechnet und geordnet, ohne der ein-
fachen Natürlichkeit Abbruch zu thun; nur in einzelnen, meist weiblichen, Neben-
ilguren tritt ein spezielles Studium leichterer antiker Motive hervor. In der Aus-
führung des Einzelnen bemerkt man anfänglich noch eine gewisse Strenge, nament-
lich in den Umrissen, ohne dass dieselbe jedoch als ein Mangel bezeichnet werden
könnte; bald aber erscheinen seine Formen auf's Schönste vollendet, und die Be-
Sonderheiten der Natur mit glücklichem Sinne aufgefasst. So von mässigen Anfängen
in beständigem Wetteifer mit sich selbst fortschreitend, überflügelte er seine Zeit-
genossen Cosimo Roselli, Sandro Botticelli und Filippino Lippi bei Weitem,
wie er in der Technik der Frescomalerei eine unübertroffene Vollendung erreichte.
Literatur. Vßsari, Leben der ausgezeiclmetsten Maler, Bildhauer und Baumeister. -Rumohr, Italie-
njsche Forschungen. Dr. Gio. Gaye, Carteggio iuedito d'artisti dei secoli X1V., XV., XVI. Firenze,
1839-1840. K11 gler, Handbuch der Geschichte der Malerei.
Ghirlandajo, RidOIfO, Maler, der Sohn des Domenico Ghirlandajo, geb. 1482
und 1534 noch am Leben, erlernte die Kunst bei seinem Vater und nach dessen Tod
bei seinem Oheim Davide Ghirlandajo , studirte dann üeissig nach dem berühmten
Carton der Pisanerschlacht von Michelangelo, und trat endlich in die Schule des
Fra iBartolommeo, in der er sich izu edler und schöner Selbstständigkeit durch-
bildete. Als Raphael im Jahr 1504 nach Florenz kam, trat Ridolfo in ein enges
Freundschaftsverhältniss zu ihm, und wieviel ersterer auf letzteren gehalten, geht
aus dem Umstand hervor, dassfals Santi 1508 rasch nach Rom berufen wurde, dieser
den Ghirlandajo ersuchte, ein für Siena bestelltes Gemälde von ihm, wahrscheinlich
die Madonna die Casa Colonna im Museum zu Berlin, zu vollenden. Und als später
Raphael mit seinen grossen Arbeiten im Vatikan beschäftigt war, wünschte er
dringend Ridolfo's Beihülfe, dieser liess sich aber nicht bewegen, Florenz zu ver-
lassen. Im Jahr 1504 malte Ridolfo für das Kloster der Nonnen von Ripoli zu Florenz
zwei Tafeln in Oel, eine Krönung Mariä und eineiMadonna mit Heiligen , von denen
die erstere jetzt im Louvre zu Paris verwahrt wird, ein herrliches Jugendbild, das
mit den früheren Werken des Fra Bartolommeo ungefähr auf einer Stufe steht.
Für das Kloster von Castello daselbst fertigte er eine sehr schöne Geburt Christi , ein
Gemälde, das nachmals, als das Kloster an die Karrnelitermönche der heil. Magdalena
de' Pazzi kam, gestohlen wurde. Zu derselben Zeit begann er für die Brüderschaft
von S. Zanobi ebendaselbst zwei Gemälde , den heil. Zenobius , wie er in der Vorstadt
der Albizzi in Florenz einen Knaben vom Tod erweckt, und die Uebertragung des
Leichnams dieses Heiligen von S. Lorenzo nach S. Maria del Fiore. Diese Arbeiten,
welche man jetzt in den Uffizien zu Florenz sieht, lassen es erkennen, Wie 11811
Ridolfo um diese Zeit an Raphaels aufstrebendes Talent heranreichte, so ungemein
schön gemalt und vornehmlich in den Köpfen des höchsten Ruhmes würdig, sind sie.
Ein treiflich wahrer Frauenkopf von ihm im Pal. Pitti zu Florenz mit der Jahrszahl
1509 ist etwa den vorzüglichsten Bildnissen des Fr ancia zu vergleichen. Dann
schmückte er das Kloster degli angeli zu Florenz mit Fresken aus dem Leben des
heil. Benedict und des heil. Romuald; ferner mit einer Madonna mit dem Kinde , von
Engelnumgeben, und einem Abendmahl. Für die Nonnen von S. Girolamo dort malte
er zwei Tafeln, einen heil. Hieronymus und darüber im Bogen die Geburt Christi,
und eine Verkündigung, und darüber im Halbkreis die Communion der heil. Maria
Magdalena, die beide noch jetzt an derselben Stelle, wohin er sie bestimmt, stehen.
Im Palazzo vecchio zu Florenz verzierte er die Wölbung der Kapelle mit Fresken,
in denen er in der Mitte die Dreieinigkeit, in den Ecken die Evangelisten und an
der Hauptwand die Verkündigung darstellte. Nach deren Beendigung führte er für
den Dom von Prato eine (noch daselbst befindliche) Madonna, welche dem heil.
Thomas im Kreise von andern Aposteln und Heiligen ihren Gürtel reicht, aus.
.Durch diese und andere Malereien hatte er sich ein reichliches Einkommen
erworben. Er wollte nun auch demgemäss leben, verliess daher die früher so rühm-