Volltext: A - E (Bd. 1)

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Barbarelli. 
der Bliithe seiner Jahre hinweg. Er starb im Jahr 1511 nach Einigen an der Pest, 
von der er bei seiner davon befallenen Geliebten ergriffen werden, nach Andern aus 
Verzweiflung über die Untreue derselben und die Undankbarkeit seines Schülers 
Pietro Luzzo aus Feltre, genannt Zarato, der sie entführt.  
Giorgione war der erste, der die Befangenheit der zwar bereits nach lebens- 
vollerer Naturwahrheit und Charakteristik strebenden, liebenswürdiggemiithlichen 
und festlichheiteren, aber noch nicht zur vollen Freiheit des Schaffens hindurchge- 
drungenen venetianischen Kunstweise, an deren Spitze Giov. Bellini stand, ab- 
streifte und die neue Richtung der venetianischen Malerei: die Darstellung des 
Lebens nach seiner ganzen sinnlichen, wie geistig bewegten Schönheit hin mit 
freiester Beherrschung der darstellenden Mittel in all dem Zauber des Lichts und der 
Farbe eröifnete. In seinen früheren Bildern noch ein entschiedener Nachfolger seines 
Meisters, entwickelt er in seinemspäteren "Werken, namentlich in seinen Porträts, 
Charakterköpfen und Charaktergestalten, eine höchst grossartige Auffassung des 
Menschlichbedeutsamen, eine höchst poetische Anschauung der Natur, der sich zuweilen 
etwas edel Schwermüthiges beimischt und eine kühne feurige Kraft. Seine Gestalten 
tragen einen tiefen innern Lebensfonds in sich, und seine Andachtsbilder, seine histo- 
rischen, allegorischen oder legendarischen Compositionen sind, dem engen Kreise 11er- 
kömmlicher Darstellungsweise entrückt, und mehr die poetische, als die geschicht- 
liche YVahrheit schildernd, mit hohem dichterischem Schwunge und grossartigfreier 
Phantasie, theils zu Idyllen, theils zu romantischen; ein bewegtes inneres Leben aus- 
sprechenden Novellen von unsäglichem Reiz und seelenvollster Anmuth zusammen 
gedichtet. Seine Behandlungsweise zeichnet sich namentlich durch Naturwahrheit, 
Klarheit, Tiefe und leuchtende Gluth des Colorits , verbunden mit dem feinsten Ge- 
fühl für harmonische Farbenwirkung aus. Durch seinen pastosen, breiten, markigen 
und fetten Vortrag, der nicht sowohl durch die Schatten, als durch die wenigen und 
einfachen Farbentöne selbst und durch kühne Gegensätze des Hellen und Dunkeln 
wirkte, verstand er besonders unvergleichlich das Fleisch zu malen und es als eine 
Weiche glänzende Substanz gleichsam plastisch aus dem Bilde hervortreten zu lassen. 
Mit ihm nimmt die eigentliche venezianische Art zu malen, die Kunst, durch die 
Bewegung des Pinsels selbst der Farbe Leben und Modellirung zu ertheilen, die 
Flächen anzudeuten und das Gefühl der Form aus den leichten und breiten Pinsel- 
strichen hervorleuchten zu lassen, welche durch Tizian, Giorgi0ne's glücklicheren 
Nebenbuhler, der nicht, wie jener, mitten im glücklichsten Wirken abgerufen worden 
aufs Höchste ausgebildet wurde, ihren Anfang. 
Seine vorzüglichstenSchüler waren: Fra Sebastiano del Piombo, Gio- 
vanni da Udine, Francesco Torbido aus Verona, genannt: il moro; seine 
bedeutendsten Nachahmer: Lorenzo Lotto, Jacopo Palma, genannt: il vocchio, 
Giov. Cariani aus Bergamo, Rocco Marconi von Trevigi, Paris Bordone, 
Girolamo von Trevigi, gen. Pennachi, Ant. Lieinio, gen. Pordenone, und die 
minder berühmten Girolamo Colleoni und Filippo und Francesoo Zanchi, 
Giov. Bat. Averara und Franc. Terzi, alle aus Bergamo.  
Die nachgelassenen Werke des friihverstorbenen Meisters sind ziemlich selten. 
Für die vorzüglichsten, für ächt gehaltenen unter denselben gelten: im Museum zu 
Berlin: die Bildnisse von zwei Männern in mittleren Jahren und das Porträt eines 
Venetianers in schwarzer Kleidung; zu Brescia, in der Kathedrale: die Geburt 
Christi (nach Förster); in der Gallerie zu Dresden: Jakob und Rahel, ein trelfliches 
seelenvolles Bild idyllischen Charakters; eine Anbetung der Hirten, und das Porträt 
eines Mannes, in dessen Armen eine schöne Frau ruht; ferner im Besitz des Herrn 
v. Quandt: eine im Schatten eines Waldes am Saume eines See's ruhende, von Freun- 
dinnen begleitete, die Laute spielende und dazu singende Dame; in England: die 
Tochter des Herodias mit dem Hßllpte des TäufeTS, in der Baring'sehen Sammlung 
zu Stratton; zwei wunderbar reizende Frauenköpfe in der Sammlung zu Ca-stle 
Howard; eine Anbetung der Hirten im Fitzwilliam-Museum zu Cambridge; ein männ- 
liches Porträt und eine heil. Familie im Schloss von Alten Tower; das Porträt des
	        
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