Eyck, Hubrecht und J an van.
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die Leidensinstrumente tragen; vier zahlreiche Gruppen treten von den Seiten dazu:
die heiligen Märtyrer und Märtyrerinnen, der weltliche und der geistliche Stand;
im Vordergrunde: der Brunnen des Lebens, in der Ferne die Thürme des himmlischen
Jerusalem. Andere Gruppen ziehen auf den Flügelbildern zur Verehrung des Lammes
heran, zur Linken in zwei Bildern diejenigen, welche durchweltliches Handeln für
das Reich des Herrn gewirkt, die Streiter Christi und die gerechten Richter; zur
Rechten in 2 Darstellungen die, Welche durch Entsagung und Entäusserung des
Irdischen geistig gewirkt, die heiligen Einsiedler und Pilger.
Die Composition dieses grossartigen Werkes gehört sowohl der Erfindung als
Anordnung nach sicher ganz dem Hubert van Eyck an und er dürfte auch für die
Innenseiten , mit denen ohne Zweifel begonnen worden, wenn nicht Cartons, so doch
ausgeführte Zeichnungen hinterlassen haben, nach denen sich Jan van Eyck, als
er das Werk zu vollenden übernahm, richten konnte und sich auch, wie leicht er-
kenntlich und schon aus der innigen Verehrung, die er vor seinem älteren Bruder
und Meister hegte, hervorgeht, zuverlässig richtete. Die Gestalten des oberen
inneren Mittelbildes scbliessen sich in ihrer Würde und statuarischen Ruhe auf
Tapeten- und Goldgrund noch ganz dem Styl der früheren Kunstperiode an. Aber
sie vereinigen mit dem typisch Ueberlieferten, dem architektonisch Symmetrischen,
das durch die Majestät, Strenge und gemessene Feier imponirt, bereits eine glück-
liche Belebung und Unmittelbarkeit der Darstellung; sie stehen an der Grenzscheide
zweier verschiedenen Kunstrichtungen und aus dem Treiflichen beider bilden sie ein
eigenthümliches , höchst ergreifendes Ganze. Alterthümlich, ernst und feierlich sitzt
die Gestalt des himmlischen Vaters dem Beschauer gerade zugewandt, die rechte
Hand zum Schwure des neuen Bundes erhoben, in der linken ein krystallenes Scepter,
das Haupt mit der dreifachen Krone, zum Zeichen der Dreieinigkeit, bedeckt. Die
Gesichtszüge, in dem Typus, den die alte Tradition Christo zuschreibt, sind von
grossem Adel und Ebenmaass, noch ohne ein eigentlich naturalistisches Bestreben,
der Ausdruck ist machtvoll und leidenschaftslos. Der rothe Mantel, der über der
Brust mit einer reichen Agrafe zusammengehalten wird, üiesst ebenmässig über beide
Schultern herab und ist in schönen Falten um die Füsse geschlagen. Hinter der
Gestalt des Herrn erhebt sich bis zu ihrem Haupte eine grüne Tapete mit dem Gold-
must-er des Pelikans; hinter dem Haupte stehen auf Goldgrund drei Sprüche, die
den Dreieinigen als Allmächtigen, Allgütigen, und als freigebigsten Vergelter be-
zeichnen. Eine ähnliche Hoheit gewahrt man in den- beiden anderen Gestalten des
Mittelbildes, welche beide, in heiligen Büchern lesend, dem Herrn zugewandt sitzen:
Johannes in dem Charakter einer milden fast weichen Schwärmerei, Maria in dem
Ausdruck stiller Anmuth und einer ausserordentlichen Reinheit der Gesichtsbildung.
Diese drei Mittelbilder schreibt man auf dem Grunde der bereits von uns auseinander-
gesetzten Verschiedenartigkeit in der Behandlungsweise der beiden Brüder ganz der
Hand des Hubert zu, während man die Seitenflügel der oberen Reihe mit den singen-
den und musicirenden Engeln, in denen sich bereits die sorgfältigste, meisterhafteste
Naturnachahmung bemerkbar macht, dem Jan beimisst. Die daneben befindlichen
äusseren Seitenilügel mit den Darstellungen von Adam und Eva, in welchen der Ver-
such, lebensgrosse nackte Figuren mit dem sorgfaltigsten Eingehen auf das Einzelne
zu malen , glücklich gelungen erscheint, sollen dagegen wiederum von der Hand des
Hubert sein. Auf den Füllungen über letzteren sind kleine grau in grau gemalte
Bilder enthalten , und zwar über Adam das Opfer des Kain und Abel, über Eva der
Tod Abels. In dem unteren Mittelbilde, der Anbetung des Lammesä welches der
Ausführung nach ebenfalls dem Jan van Eyck zugeschrieben wird, ist die Anordnung
noch streng symmetrisch, wie sie durch das MyStisch-Allegorische des Gegenstandes
geboten wurde, allein dieselbe erstreckt sich mehr auf das Ganze, als auf die ein-
zelnen, aus den vier grossen Gruppen heraustretenden Gestalten, die sich durch eine
solche Anmuth und zugleich individualisirende Charakteristik auszeichnen, dass sie,
in Verbindung mit der schönen Landschaft, der reinen Luft, dem hellen Grün des
' Abgebildet in. den Denkmälern der Kunst. Atlas zu Kuglers Hnndb. der Kunstgesch. Taf.81, FigA.
Müller, Künstler-Lexikon. 38