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Eyck, Hubrecht und J an van.
scharfer, knittriger Brüche, die er" zuerst in der Malerei einfiihrte, vor. Die Haare er-
scheinen sehr üeissig, jedoch mit vieler Freiheit, behandelt; besonders sind die höchsten
Lichter oft breit aufgesetzt, einzelne abstehende Löckchen aber mit seltenster Leichtig-
keit und- Meisterschaft gemalt. Im Fleisch sind die Mitteltöne entschieden gelblich,
dagegen die höchsten Lichter bisweilen etwas kalt, die mitunter etwas schweren und
undurchsichtigen Schatten 'von einem sich dem Gelben nähernden Braun. Jarphatte
eine besondere Vorliebe für die Ausbildung des Details, namentlich für die Nach-
ahmung natürlicher Effekte, mit denen er, wie z. B. mit den Spiegelungen spielen
konnte. Auch setzte er einen Werth darein in ganz kleinen, fast nur durch das
Vergrösserungsglas erkennbaren Dimensionen malen zu können.
Das berühmteste WVerk beider Brüder ist das grosse Altarwerk, welches von
ihnen für die Kirche des heil. Johannes (gegenwärtig St. Bavo) zu Gent gemalt
wurde. Es ist eine Stiftung des Judocus Vyd (oder Vyts), Herrn von Pameln im
Lande Alost und seiner Frau Lisbette, geb. Borluut, aus Gent, wurde 1420 ange-
fangen und 1432 beendigt, und besteht in einem sogenannten Altarschreine ohne
Bildschnitzwerk, einem Triptychon, das in eine obere und eine untere Abtheilung
zerfällt und aus 12 Tafeln zusammengesetzt ist, von denen 8 auf beiden Seiten
bemalt sind. Das Werk ist gegenwärtig zerstreut. Das Untersatzbild ist frühe
verdorben und verloren; sechs Tafeln von den Flügeln bilden eine der vorzüglichsten
Zierden des Berliner Museums; nur die Mittelbilder und zwei Tafeln von den Flügeln
sind noch theils an ihrem alten Platze in der Vyfschen Kapelle der genannten
Kirche, theils unter Verschluss in der Sakristei. Eine Inschrift im Rahmen der
unteren Tafeln:
Pictor Hubertus e Eyk, major quo nemo repertus
Incepit; pondusque Johannes arte secundus
Frater perfecit, J udoci Vyd prece fretus.
VersV seXta Mal Vos CoLLoCat aCta tVerI.
sagt, dass der von Keinem iibertroifene Maler Hubert van Eyck das YVerk begonnen,
sein Bruder Johannes aber, in der Kunst der Zweite, es auf die Bitten des Judocus
Vyd vollendet habe. Das Chronodistichon darunter gibt in seinen Zahlbuchstaben
[ein M (z l000)-f-3 C (a 100 :300) -I- 2 L (a 50 z 100) ein X 10) -l- 4
V (a 5 : 20) el- 2 I (a 1 2 2)] den 6. Mai des Jahrs 1432 als die Zeit der Voll-
endung des Bildes an. Der Inhalt desselben bezieht sich, noch in tiefsinniger Sym-
bolik, auf das Mysterium der christlichen Lehre und seine Bedeutung für die Welt.
Ein grosser Gedanke , der Grundgedanke des Christent-hums, die Versöhnung, durch-
dringt alle einzelnen Theile und diese beziehen sich in aller ihrer Mannigfaltigkeit
immer wieder aufjenen einen Mittelpunkt. Waren die Flügel des Alt-arschreins ge-
schlossen, so erblickte man in der oberen Abtheilung, die messianischen XVeis-
sagungen, als solle damit auf das verschlossene Innere des Schreins (gleichsam auf
die verhüllte Zukunft) hingedeutet werden: die Verkündigung, ß-llf ZWSi getrennten
Tafeln , darüber die Propheten Zacharias und Micha, und daneben, als Verbindungs-
glieder zwischen Christenthum und Heidenthum, die cumäische und die erythräische
Sibylle; unter der Verkündigung waren die Patrone der Kirche: Johannes, der Täufer,
und Johannes, der Evangelist, daneben die Stifter des Werks, Jvdocus Vyt und seine
Ehefrau Lisbette abgebildet. Ein Untersatzbild mit einer Darstellung des Fegfeuers,
um den Beweggrund der Stiftung leicht verständlich anzudeuten, schloss das Ganze
nach aussen ab. Oeffneten sich die Flügel, was aber nur an Festtagen geschah, so
sah man auf dem oberen aus drei Tafeln bestehenden Mittelbildef den dreieinigen Gott,
den König Himmels und der Erde, zu seiner Seite die heil. Jungfrau und den Täufer
Johannes; auf den inneren Flügelbildern daneben Engel, welche hier lnit Gesang,
dort mit heil. Musik das Lob des Allerhöchsten verkünden, zu äusserst Adam und
Eva, als Itepräsentanten der versöhnungsbedürftigen Menschheit; Das untere Mittel-
bild zeigt das Lamm der Offenbarung, dessen Blut in einen Kelch fließt, darüber
die Taube des heil. Geistes; das Lamm wird von Engeln angebetet, deren einige
' Einen Umriss der inneren Bilder findet man in Passavanifs Kunstreise durch England und Belgien.