Eyck, Huhn-echt und Jan van.
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gegen zeigt die Luftperspektive nicht die für vollendete Durchführung der Bilder
durchaus nöthigen Abstufungen. Zwar erscheinen die Räume nicht luftleer, wie bei
den Malereien der vorhergehenden Periode, im Freien heben sich die Figuren gehörig
von einander ab und der Luftton im Innern der Zimmer oder Kirchen bewirkt eine
gewisse Ferne, allein die duftlose Klarheit macht in den Wiesen und Bäumen des
Mittelgrunds bis zu den letzten Bergen und Städten des Hintergrundes jede, auch
die kleinste Einzelheit allzu sicht- und erkennbar.
Gehen wir nach dieser vorausgeschickten allgemeinen Uebersicht endlich zur Be-
trachtung der Kunstweise jedes einzelnen der beiden Brüder für sich über, so scheint
sich Hubert van Eyck nach den Werken der gleichzeitigen Kölner Maler gebildet zu
haben, um hernach die in seinem eigenen Volke bereits aufkeimende Saat zur Zeitigung
zu bringen. In den mit Sicherheit ihm zugeschriebenen Bildern erkennt man in einer
gewissen Wlerthschätzung der überlieferten symbolischen Auffassungs- und der auf
grosse ideale Form gerichteten Behandlungsweise noch manche Verwandtschaft zur
Kölner Schule und dem idealistischen Streben, welches sich in den Niederlanden
schon bald nach der Mitte des 14. Jahrhunderts mit vielem Erfolge geltend machte.
Sie sind, sowohl in der Charaktcrbildung, als in der Formengebung, durchdrungen
von kirchlicher Würde, Majestät und Andacht; das hinzugetret-ene Studium der
Natur und das Verlangen nach einer ausgedehnten dramatischen Darstellungsweise
hat aber, verbunden mit einem grossartigen Schönheitssinn, bereits einen auffallenden
Fortschritt hervorgebracht. Mit den TVerken Jan van Eyck's verglichen, sind die
Umrisse der Zeichnung weniger scharf, die Verhältnisse der stehenden Figuren
meist etwas kurz, die Köpfe im Charakter und Ausdruck aber äusserst schön und
die Gewänder wohl verstanden, grosslinig und breitliächig, ja zum Oefteren sogar
ganz grandios. Die Behandlung des Haars ist bei den Frauen meistens mit
einer sehr feinen Angabe der einzelnen Härchen durchgeführt, bei dem der Männer
dagegen, bei denen es meist in vollen Locken auf die Schultern niederfällt, zwar
etwas freier und höchst meisterlich und weich, jedoch nicht so breit wie bei Jan
van Eyck. Die Hände seiner idealischen Figuren sind breiter, die Finger von natur-
gemässer Länge und minder zugespitzt, als auf den Bildern seines Bruders. Das
Fleisch ist in den Mitteltönen röthlichbräunlioh, in den Schatten von einem Braun,
das gegen das Roth zieht und an Wärme, Tiefe und Klarheit die Schattenparthien
der Carnation des Jan van Eyck übertriift. Endlich ist die Pinselführung in den
Einzelheiten Weniger verschmolzen, als bei jenem, sondern mehr in ihren einzelnen,
sehr geistreichen Zügen zu verfolgen.
In Jan van Eyolfs Gemälden macht sich dagegen bei allem 'l'iefsinn religiöser
Gedanken, bereits der entschiedenste Realismus bemerkbar. Schon der Umstand,
dass er seine Kunst weniger als sein Bruder auf Religiöses und Kirchliches
beschränkte, wies ihn mehr auf das Studium und die Nachahmung der mannigfal-
tigsten Aussenwelt an. Aus seinen Händen gingen viele Bildnisse höchst gestellter
Zeitgenossen hervor, und in vielen seiner Gestalten erkennt man an einer gewissen
Rittcrlichkeit und Zierlichkeit, dass er dem Herzog Philipp von Burgund zur Seite
stand. Seine idealistischen Personen haben durchaus ein porträtartiges Aussehen; die
Männer erscheinen bisweilen begeistert, öfters höchst edel, immer aber tüchtig, die
Frauen sind häufig lieblich und gefällig, bisweilen jedoch auch, wie bei den Kindern,
bei denen es noch häufiger vorkommt, unschön. Seine Bildnisse indessen zeigen die
überraschendste, lebendigste und durchdringendste Klarheit und Schärfe der Auf-
fassung, die meisterhafteste Zeichnung und eine plastische, höchst bestimmte, nur
hie und da an's Scharfe streifende Durchbildung der Form. Ueberhaupt begegnet
uns in seinen Bildern eine grösserc Schärfe der Zeichnung und Bestimmtheit der
kräftig modellirten Formen, als bei seinem Bruder. Im Nackten fehlt dagegen die
gehörige Rundung und Fülle, besonders bei den Kindern. Bei idealischen Figuren
sind die Hände in der Regel schmal, die Finger lang und zugespitzt, bei Bildnissen
aber höchst fein individualisirt. Während indessen die Gewänder bei Hubert Muster
von Wahrheit und Geschmack sind, kommen bei denen auf Jarfs Bilder eine Menge