Volltext: A - E (Bd. 1)

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Dyßk, 
Anthonie van. 
A. van Dyck war klein von Körper, dabei aber ein schöner wohlgebildeter Mann. 
Sein klarer Verstand , seine feine Lebensart, sein ritterliches Wesen und seine Frei- 
gebigkeit erwarben ihm allgemeine Achtung und Gewogenheit, sowie die Liebe der 
Frauenwelt. Er liebte es, ein glänzendes Haus zu machen, hielt eine offene Tafel, 
und seine Feste, an denen Fürsten und Damen höchsten Ranges Theil nahmen und 
welche die ersten Tonkünstler und Mimen durch ihre Talente zu verschönern wett- 
eiferten , übertrafen alle andere der Stadt an Glanz und Sinnigkeit. 
Als Künstler besass er eine ungemeine Sicherheit und Leichtigkeit der Technik, 
er malte ausserordentlich rasch und führte desshalb auch eine sehr grosse Anzahl von 
Bildern aus. Man zählt heute noch gegen 120 grosse historische Gemälde und kennt 
gegen dritthalbhundert nachweisbare Bildnisse von seiner Hand, während die Zahl 
der nach seinen Porträts überhaupt gestochenen Blätter sich auf 900 und darüber 
beläuft. In der Historienmalerei blieb er an erfinderischer Phantasie, natürlichem 
Feuer und Lebhaftigkeit des Geistes weit unter seinem Meister, kam ihm auch im 
Glanz der Färbung nicht gleich; dagegen strebte er mehr das Kräftigsinnliche des- 
selben zu mildern und zu veredlen und statt dessen mehr das geistig Bedeutsame her- 
vorzuheben. Das Uebermaass in Farbe und Form, das man bei seinem Lehrer Rubens 
findet, ist bei ihm sorgfältig vermieden, die Zeichnung ist correkter, der Ausdruck 
des Gefühls. besonders des Schmerzes, eindringlicher. Allein wenn Rubens die 
Schranken des gewöhnlichen Maasses überschreitet, so ist das ein Fehler seines feu- 
rigen Gefühls, der überströmenden Kraft; seine Helden durchdringt ein inneres Licht, 
der Glanz einer sinnlichen Begeisterung, der auch mit minder anziehenden Darstel- 
lungen versöhnt. Van Dyck ringt nun zwar nach einer ähnlichen Tiefe des Eindrucks, 
er ringt nach dem Ernst, der aus solcher Gewalt der Darstellung spricht, aber er will 
ihn nur in geschmackvoller Form vortragen. Dadurch werden nun seine Gestalten 
zwar erfüllt von tiefem Pathos, aber sie streifen nicht selten an's Theatralische, 
Kokette und Sentimentale. Sie gewinnen zwar an geistigem, schmerzlichem oder 
lieblichem Ausdruck, dadurch, dass die Form weniger voll, die Färbung weniger 
geröthet, ihr ganzes Wesen weniger sinnlich gehalten ist; allein dadurch wird gerade 
die Seele oft so überwiegend gegen den Körper, dass fast die Wahrheit des LebenS 
gefährdet erscheint. Während Rubens schon in Form und Färbung der Gestalten, 
mithin in ihr angeborenes bleibendes Wesen, Fülle und Kraft in reichem Maasse 
legte, sparte van Dyck Kraft und Feuer für den Ausdruck des Moments und lässt 
uns daher denselben höchst tief und lebendig empfinden, aber leicht tiefer als er den 
Gestalten natürlich und angemessen erscheint, und so dass sie fast das Gefühl einer 
Absichtlichkeit des Künstlers geben. In seinen ersten Bildern ist noch das Bestreben 
wahrzunehmen, die Eigenthümlichkeiten des Meisters sich, bis zur Uebertreibung, 
anzueignen. Sie tragen meist das Gepräge einer noch styllosen Genialität, ein 
Prunken mit geistreicher Handfertigkeit. Später, und wie es scheint durch Studien 
in Italien veranlasst, verliess er die auf das Ueberschwängliche und Gewaltsame 
gerichtete Weise des Lehrers und bildete sich eine eigene." Statt des Ausdruckes 
gewaltsamerAlfekte, statt der Formen einer derberen Natur suchte er in den anrnnghs- 
volleren Bildungen, in dem zarteren Schmelz des Colorits, in der tieferen Stimmung 
der Farbe es mehr den italienischen Meistern, vornehmlich dem Tizian, gleich zu 
thun und dabei mehr den Ausdruck innerlicher Empfindungen, einer Süsgeren Liebe, 
eines geistigeren Schmerzes, einer eindringlieheren Rührung hervorznhebeln E; ver- 
liess das Hauptelement des Rubens'schen Styls, das dramatisch bewegte Leben, und 
während Jener Thaten darstellte, malte er lyrische Situationen; während Jener der 
ausserordentlichsten Kenntniss der menschlichen Gestalt zur Darstellung jener ge. 
waltigen Aeusserungen kräftigster Natur bedurfte, suchte van Dyck dafür ein tieferes 
Verständniss des menschlichen Antlitzes und gelangte durch sein unausgesetztes Bild- 
nissmalen dahin, die verborgensten Züge der Seele zu erkennen, die feineren inneren 
Zustände der Empfindung zum Ausdruck zu bringen. Es sind daher insgemein Dar- 
Stellungen, die sich zumeist in einem engbeschlossenen Kreise bewegen und die er 
auf mannigfache Weise wiederholt hat  Christus am Kreuz, der Leichnam Christi,
	        
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