Volltext: A - E (Bd. 1)

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Dürer , 
Albrecht. 
Diese Gemälde sind aus den tiefsten Gedanken, welche dazumal den Geist des 
Meisters bewegten, hervorgegangen und mit der überzeugendsten Kraft und Vollen- 
dung der Darstellung ausgeführt; sie bilden das erste vollendete Kunstwerk, welches 
der Protestantismus hervorgebracht. Wie die Unterschriften, aus den Briefen und 
Evangelien jener Apostel entnommen, eindringliche Warnungen enthalten, nicht von 
dem Worte Gottes zu weichen und den Lehren der falschen Propheten nicht zu glau- 
ben, so stehen auch die Gestalten selbst da als die festen und getreuen Hüter der 
heiligen Schrift, die sie in Händen tragen , und man hat sie nicht unpassend mit den 
hehren Kirchenliedern der Reformationsepoche, als wahrhaft würdiges Seit-enstück 
mit Luther's Lied: Ein feste Burg ist unser Gott, verglichen. Zugleich erzählt eine 
alte Tradition, die noch von Zeitgenossen des Künstlers herrührt, dass Dürer in diesen 
Gestalten die vier Temperamente dargestellt habe, vermuthlich um zu zeigen, wie 
eine jede menschliche Gemüthsbeschaifenheit zum Dienste des göttlichen YVorts be- 
rufen sei. Diese Aufgabe musste ihn gerade zu eine1' noch tieferen Durchführung 
jenes Gedankens und zu einer ergreifenderen Individualisirung der Gestalten veran- 
lassen. So sehen wir auf dem ersten Bilde die nach innen gerichtete Thätigkeit des 
Geistes, den Beginn jenes Hüteramtes der Schrift, das eigentliche Studium derselben 
in Johannes ausgedrückt, der vorn steht und das geöffnete Buch in seinen Händen 
hält; seine hohe Stirne, sein ganzes Gesicht trägt das Gepräge tief dringender ernster 
Gedanken  es ist das melancholische Gemüth, welches in die Tiefen der Forschung 
hinabsteigt. Petrus hinter ihm bückt sich über das Buch und schaut ernst auf dessen 
Inhalt, ein greiser Kopf voll beschaulicher Ruhe  das phlegmatischo Gemüth, 
welches den Gedanken in stiller Ueberlegung zu verarbeiten hat. Auf dem zweiten 
Bilde stellt sich uns die Richtung nach aussen, das Verhältniss der gewonnenen Ueber- 
zeugung zum Leben dar. Marcns, im Hintergründe, ist  der Sanguiniker. Oiien 
blickt er umher; er scheint lebhaft und eindringlich zu sprechen und den Zuhörer 
zu gleichem Gewinn, wie ihm aus den Worten der Schrift zu Theil geworden, aufzu- 
fordern. Paulus dagegen, im Vorgrunde des Bildes, hält Buch und Schwert in den 
Händen; er blickt zürnend und streng über seine Schulter hinaus , bereit, das Wort 
zu vertheidigen und die Schänder desselben mit dem Schwerte der Kraft Gottes zu 
vernichten. Er ist der Repräsentant des cholerischen Temperamentes. Diesem er- 
'habenen Inhalte angemessen zeigt sich die Ausführung in meisterhafter Vollendung. 
Welche Würde und Hoheit in diesen , so verschiedenartigen Köpfen! Welche Einfalt 
und Majestät in den Linien der Gewandung; welche erhabene statuarische Ruhe 
in den Bewegungen! Hier ist nichts Störendes mehr, kein kleinlicher eckiger Bruch 
der Falten , kein willkürlich phantastischer Zug in'den Gesichtern oder auch nur im 
Fall der Haare. Ebenso ist auch die Farbe höchst vollendet und von krüftigster 
Naturwahrheit und Wärme. Von jenem bunten Lasiren , jenem scharfen Bezeichnen 
der Formen ist fast keine Spur mehr, sondern überall ein freier gediegener pasmsey 
Auftrag. Wahrlich, der Meister durfte nach Vollendung dieses Werkes sein Auge 
schliessen, denn er hatte das Ziel der Kunst erreicht. Hier steht er den grössrten 
Meistern, welche die Geschichte der Kunst kennt, ebenbürtig zur Seite. 
Weitere Gemälde aus dem Jahre 1526 sind nicht bekannt, dagegen tragen zwei 
sehr schöne Stiche, die bekannten Porträts des Melanchthon und des Erasmus von 
Rotterdam, sowie eine Schaumünze auf Dr. Luther dasselbe Datum. Ein Clu-ismskopf 
(in der Sammlung des Dr. Carnpe zu Nürnberg) und eine Kreuzt-ragung Christi (in 
der Gallerie zu Dresden) stammen aus dem Jahr 1527. In diesem grau in grau ge- 
malten herrlichen Bilde des Ganges Christi nach Golgatha sehen wir, wie schon in 
den Aposteln , den ihm ursprünglich eigenen Naturalismus nicht nur in den Formen, 
sondern auch in der Darstellung auf das Ueberraschcndste geniässigt. Mit voll- 
kommener Klarheit hat Dürer sich das Ereigniss vergegenwärtigt und mit der ganzen 
Innigkeit seines frommen Gemüths sich in die Empündllng jedes Einzelnen, in die 
Anschauungen des schnierzvollsterl Todesganges Christi versenkt, wie als wollte er 
selber Kraft daraus schöpfen für den eigenen, der ihin so nahe bevorstand. Zugleich aber 
1st das Bild immerhin noch Zeuge, dass ihm die quellcnhafte Frische seines künst-
	        
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