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Cornelius.
liche Bilderdichtung eingefügt, wie der Gesang des Chors in die griechische Tragödie.
Sie führen an Ort und Stelle jedem, der ernst betrachtend durch diese Räume scl1rei-
tet, wo jeder Schritt an die Ohnmacht und Vergänglichkeit des irdischen Daseyns
erinnert, in grossen Zügen und immer wieder anderer Gestalt, die Verheissungen der
ewigen Seligkeit vor Augen und bilden unter den mannigfach ergreifenden und auf-
regenden dramatischen Haueptdarstellungen in ihrem entschieden lyrischen Charakter
eine schöne, wohlthuende Beruhigung.
Das erste Hauptbild der östlichen durch den Eingang zur Königsgruft in zwei
Hälften getheilten Wand stellt die Geburt Christ-i, die Lünette darüber die Freude
der Engel im Himmel, die Predclla den Sündenfall und die Vertreibung aus dem
Paradiese als die Grundlage des Glaubens an den Erlöser, als die Ursache seiner
Sendung dar. Das zweite Hauptbild ist die Grablegung, in Ton und Haltung eine
der vollendetsten Compositionen des ganzen Cyklus. Gegenüber der Freude im Him-
mel des ersten Bildes ist hier die Klage der Engel in der Lünette dargestellt, in der
Predella aber die erste Arbeit und die erste Missethat, beides Folgen des Verlustes
des Paradieses, in das wir durch den Opfertod Christi wieder Zutritt erlangen.
Leibliches und geistiges Elend hat der Abfall der ersten Menschen über sie und ihre
Nachkommen gebracht. In dem folgenden dritten und vierten Hauptbilde, in welch
ersterem er den Gichtbriichigen heilt, während er auf Letzterem der Ehebrecherin
vergibt, nimmt Christus beides, Sünde und Krankheit, von ihnen hinweg. Seine Gnade
öffnet den grössten Sündern die Pforten des Himmels. Diess sehen wir in der Lünette
über dem drit-ten Hauptbild, wo der Heiland Adam und Eva, David und Salomo, Mag-
dalena und den Schächer in seine Herrlichkeit aufnimmt. Von der Versöhnung aus-
geschlossen ist nur, wer sich selbst ausschliesst, d. h. die Sünde gegen den h. Geist,
vori der er in der Predelle warnt. Auf der Predelle des vierten Hauptbildes schliesst
Jehovah einen Bund mit Noah, während die Lünett-e darüber die Verheissung Christi
andeutet: Im Himmel wird mehr Freude sein über einen Sünder, der Busse thut, als
über neunundneunzig Gerechte, die der Busse nicht bedürfen. Die Stellen aus der
Bergpredigt, welche den beiden Darstellungen zwischen diesen Bilderabtheilungen
zu Grunde liegen, sind die Verheissungen: „Selig sind die Armen im Geiste!" und
„Selig sind die Traurigen l", Gruppen von unvergleichlicher Schönheit und Innigkeit,
deren Beziehung zu den Hauptbildern sich von selbst ergibt. In engster Beziehung
zu den Gemälden der Ostwand stehen die der westlichen Wand. TVeil erst die
Erkenntniss, dass Christus Gottes Sohn sei, seiner Geburt und seinem Tode, die auf
jener lNand dargestellt sind, die welterlösende Bedeutung verleihen, so sind die
Darstellungen der Westwand bestimmt, die Gdttlichkeit Christi zum Bewusstsein des
Beschauers zu bringen. WVir erblicken daher in dem mittleren Hauptbilde: Christus
mit verklärtem Leibe inmitten der in verschlossenem Zimmer versammelten Apostel,
in der Lünette: die Auferstehung und in der Predella: die vorbildliche Hindeutung
auf dieselbe, die Geschichte des Jonas. Derselben Idee dienend, schliessen die Bilder
zur Seite sich dem Mittelbilde an. Auch sie verkündigen das göttliche WVesen des
Heilandes und zwar in Wundern, in welchen sich der Herr über Leben und Tod zeigt,
während Lünette und Predella derselben an die am meisten charakteristischen Tugen-
den, die Liebe und Demuth, erinnern, welche seiner wie jeder Macht erst, die be-
glückende Weihe geben. So vergegenwärtigt uns das Hauptbild rechts vom Be-
schauer: die Auferweckung des Lazarus , wohl eine der gelungensten Compositionen
unter sämmtlichen Bildern, die Lünette hingegen das Beispiel der tiefsten Demuth, die
Fusswaschung Christi an seinen J üngern, die Predella aber den über den Hochmuth
G0liath's siegenden David. Auch die letzte Predella dieser Wand zur Linken enthält
eine Scene aus David's Leben: seinen Siegestanz vor der Bundeslade, als Zeugniss
seiner Liebe zu Gott dem Herrn. „Liebe Gott über alles und deinen Nächsten, wie
dich selbst!" ist das Gebot des alten und neuen Bundes, dessen ersten Theil David
hier vollbringt, während im Hauptbild der Heiland selbst das Beispiel der Erfüllung
des zweiten gibt, indem er aus Mitleid mit der trostlosen Mutter das Wunder der
Auferweckung des Jünglings von Nain verrichtet. Die aber mit dem hartherzigen