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Caliari ,
Paolo.
welche in der heil. Schrift vorkommen, in denen er am Vorzüglichsten erscheint, in
denen er, die letzten historischen Fesseln abschüttelnd , und den ceremoniellen Inhalt
durch die schönste und kraftvollste Einzelbelebung aufhebend, ein schönes und freies
Menschengeschlecht, das in ungehemmtem Jubel alle Pracht und Herrlichkeit der
Erde geniesst, schildert, und zwar in der bunten Farbenlust der reichsten Gewänder
und umgeben von den grossartigsten architektonischen Oertlichkeiten und Perspek-
tiven, von dem Glanz prachtvoller Geiässe und funkelnder Geschmeide und einer
Menge der Haupthandlung zur Folie dienender, bewegter Episoden. Dabei ist ein
helles sonniges Tageslicht über dieses Zusammenleben verschiedener zu einem herr-
liehen Ganzen vereinigter Existenzen ausgegossen. Es herrscht darin eine Pracht
des Colorits, eine Feinheit in der Abstufung der Töne, eine Magie der Haltung, eine
Harmonie der reichsten und grcssartigsten Farbenscala, eine lätrbenverklärung,
welche diese Bilder gleichsam zu Farbendithyrainben , zu hinreissenden Farben-
symphonien macht, die an uns vorrüberrauschen, sich vor unserem trunkenen Auge ent-
rollen. Diese poetische und künstlerische Thatkraft, in einer so gesunkenen Kunst-
epochc Leben und Liebreiz so rein und voll darzustellen, ist doppelt hoch anzu-
schlagen, und wenn Paolo Veronese auch sich dem Naturalismus vielfach anbequemt,
wenn auch seine Composit-ion hin und wieder sogar verwildert, seine Schönheit sich
mehr an die Sinne als an die Seele richtet, so weht selbstaus seinen flüchtigsten
Bildern noch ein gewisser Hauch der Anmuth, spricht aus ihnen noch eine naive
Fülle des Daseyns, die damals bereits aus allen andern Schulen gewichen war.
Paolo Veronese malte mit spielender Leichtigkeit und Sicherheit in einem kühnen
und geistreichen Vortrag. Seine Farbe ist äusserst rein und kräftig, weil er sie nicht
quälte, sondern auf das ersternal den rechten Ton traf. Auch lasirte er weit Weniger
als andere Venetianer, wesshalb seine Bilder weniger durch Reinigen verdorben
werden. Er malte beinahe stets im vollen Lichte und vermied die iinstern Schatten,
und dennoch runden sich alle seine Gestalten, ohne dass er der scharfen Gegensätze
von Hell und Dunkel bedurfte, durch genaue Beobachtung der Wirkungen der Farbe
und des Lichts auf das Auge; ja die entzückendsten Glieder, die er malte, schwim-
men in Licht und Helligkeit und doch springen sie aufs Plastischste aus der Leinwand
hervor. Auch beobachtete er mit feinem Sinne die Zusammenstellung derjenigen
Farben, die sich gegenseitig heben; er mied eine solche, wo er eine sanfte, suchte
sie aber, wo er eine lebhafte Wirkung hervorbringen wollte. Von seiner eigenthüm-
lichsten und vortheilhaftesten Seite erscheint er in seinen, in einem sehr lichtgoldenen
oder silbernen Ton ausgefülnten Bildern. In andern Gemälden suchte er im tiefen
bräunlichen Ton mit den späteren Werken des Tizian zu wetteifern. In seinen spä-
testen Bildern dagegen wird sein Colorit fahlgrau und durch ein unglückliches Feuer-
roth selbst unharmonisch.
Paolo Veronese malte eine ausserordentliche Menge von Bildem, Zum Tlleil in
den allergrössten Dimensionen und mit lebensgrossen Figuren. Zu seinen vor-
züglichsten und bedeutendsten zählt man, zu Berlin im Museum: vier allego-
rische Darstellungen zur Verherrlichung Deutschlands (für den Festsaal des vor-
maligen Kaufhauses der Deutschen [Fondaco dei Tedeschi] zu Venedig gemalt), nam-
ylich 1) Jupiter übergibt der Germania die Attribute der weltlichen Macht; 2) die Zeit
siegt über die Ketzerei und bringt die Religion zu Ehren; 3) Minerva. ist; beschäftigt,
den Mars zu rüsten, auf die Kriegsrüstigkeit Deutschlands anspielend; 4) Apoll, der
mit der Lyra sich zur Juno wendet, wodurch wahrscheinlich die Blüthe der Künste
in Deutschland angedeutet werden sollte. Ferner: ein Plafondbild, das ehemals die
Decke eines Saales in dem prachtvollen Palaste Pisani a S. Stefano schmückte und
Jupiter, Juno, Cybele und Neptun darstellt, die einer von Engeln zum Himmel empor-
getragenen Figur nachblicken. Zu demselben gehören vier kleinere Bilder mit Kinder-
genien, die in den verschiedensten Stellungen in der Luft umheriiattern. Dieser
Plafond ist in dem hellen silbernen Fleischton, in welchem Paolo so einzig da steht,
und in den ihm eben so eigenthümlichen brillanten Farben der Gewänder auf eine
höchst geistreiche und breite Weise gemalt und zeigt insbesondere eine ausserordent-