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Buonarotti ,
Michelangelo.
der Renaissance, die mit naiver Anmuth ihre Bedürfnisse in den Formen der Antike
"zu gestalten wussten, im Gegensatz zu' seinen Zeitgenossen, welche diese Formen
wenigstens mit gewissenhafter Treue beobachteten, lieng er, von dem Streben nach
grosser malerischer Wirkung getrieben, an, dieselben nach Laune und Willkür umzu-
gestalten, wodurcher allen möglichen Ausartungen seiner Nachfolger, die sich auf
das Beispiel eines so ausgezeichneten Meisters berufen konnten, den Weg bahnte.
Die Sculptur war es aber, welche Michelangelo für seine vorzüglichste Bestim-
mung erkannte, denn er selbst sagte einmal, er sei kein Maler, das anderemal,
die Baukunst sei nicht seine Sache, dagegen bekannte er sich zu allen Zeiten als
Bildhauer und seine Anstrengungen, dieses fest erkannten Berufes Herr zu werden,
waren ungeheuer. Zwölf Jahre allein verwandte er auf das Studium der Anatomie,
wodurch er eine beispiellose Sicherheit in der Darstellung des menschlichen Körpers
erlangte. Von dem Drange bewegt, alle irgend denkbaren und mit den höheren
Stylgesetzen vereinbaren Momente der lebendigen, vorzüglich der nackten Körper-
gestalt, aus sich heraus zu schaifen, gestaltete seine Phantasie, die er sich weder
durch Rücksichtsnahme auf das Althergebrachte, noch auf das Historischcharak-
teristische beengen liess , mit unbeschränkter Freiheit, rein nach künstlerischer Inspi-
ration. Dadurch kam er auf Willkürlichkeiten von Erfindungen, die alles gestatten,
weil sie sich durch nichts bedingen, wie in den Monumenten in S. Lorenzo zu Florenz,
in denen er übrigens eine neue Gattung von Grabdenkmalen einführte. Aus sich
allein schöpfte er die Idee zu all den grossen Unternehmungen, bei denen er keinen
Vorgänger und sich eine neue Bahn zu brechen hatte, wie es mit dem Mausoleum
Julius II. der Fall war. In der Darstellung seiner Gestalten selbst aber suchte er
der Statue vermittelst seiner grossen Kenntniss aller Ursachen und Aeusserungen
der menschlichen Form die vollkommenste Wirklichkeit zu verleihen, sein unge-
stümer Geist riss ihn jedoch hin, sie inis Uehermenschliche zu übertreiben, das er
dann nicht selten in befremdlichen Stellungen und Bewegungen und in Ausbildung
gewisser Körperformen in's Gewaltige fand. Bei solcher Weise des Schaffens mussten
seine Werke oft das Gepräge der Absichtlichkeit erhalten, allein die gewaltige Ge-
staltungskraft, die in Michelangelo waltet, verleiht selbst seinen gesuchtesten und
unwahrsten Schöpfungen einen dauernden WVerth. Was bei ihm jedoch das Ergebniss
seines Ringens und Strebens nach Darstellung des Erhabenen und Uebermenschlichen
War, die Kolossalität der Formen und die Macht des Eindrucks, machten seine Nachahmer
und Michelangelo imponirte seiner Zeit fast auf dämonische Weise zur Haupt-
sache und so datirt sich von ihm, der einer der höchsten Glanzpunkt-e der neueren
Bildnerei war, der Verfall der Kunst, der in dem Streben nach äusserem Scheine
beruht.
Obgleich Michelangelo sich selber vorzugsweise als Bildhauer betrachtet hat,
war doch erst die Malerei das Feld, auf welchem er seine schöpferische Kraft auf's
Mächtigste und Umfangsreichste zu entfalten vermochte. Sie gewährte ihm für die
ideale Welt, die er in sich trug, ungleich vielseitigere und freiere Mittel. Seine Phan-
tasie nimmt darin denselben erhabenen Schwung an, seine Auffassungs- und Darstel-
lungsweise bleibt auch hier dieselbe, wie in der Sculptur, allein er konnte darin die
menschliche Gestalt in allen Möglichkeiten der Erscheinung zeigen, und er hat diess
mit einer Kühnheit, Gründlichkeit und WVissenschaft get-han, in der er alle Meister der
neuern Kunst überragt. Im Ganzen ging indessen seine Behandlung in der Malerei,
was mit seinem Streben nach höchstmöglicher Realität überhaupt zusammenhängt,
auf eine mehr plastische als eigentlich malerische Wirkung, ohne dass er indessen
in seinen Compositionen mit Einseitigkeit an den Gesetzen der Sculptur festgehalten
hätte. Seine Zeichnung ist äusserst bestimmt, fällt aber niemals in's Harte. Den
Ausdruck der Seele hat er in seinen Köpfen meistens bewundernswürdig getroffen,
hin und wieder aber zu urlbßsfimlnt gelassen oder gar verfehlt. Auch kommt es
öfters vor, dass seine Physionomien dem gewaltigen Charakter der übrigen Gestalt
nicht vollkommen entsprechen. In seinen Gewändern (insbesondere in den Decken-
gemälden der sixtinischen Kapelle) zeigt er eine Einfachheit und Grösse des Styls,