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Buonarotti ,
Michelangelo.
Lorenzo dagegen, der in tiefem Sinnen dasitzt, und daher von den Italienern treffend
„il pensiero", der Gedanke, genannt wurde, erscheint durchaus edel, in ihrer Stellung
bedungen, klar und gemässigt. Sie ist eine Arbeit vom allerhöchsten Kunstwerth.
In den vier allegorischen Statuen aber hat der Meister den Gipfelpunkt dessen er-
reicht, Wozu die moderne Plastik in Betreff vollständiger Herrschaft über das Material
und vollständiger Freiheit der Behandlung gelangen konnte. In ihnen zeigt sich
die Kunst frei von allen sachlichen Beziehungen und losgebunden von aller von
aussen verlangten Charakteristik, aber dabei in solcher Vollendung, dass darin zu-
gleich die Berechtigung jener Unabhängigkeit vollständig enthalten ist. Zugleich
offenbaren sie die grösste Kenntniss der Anatomie, die vollständigste Wissenschaft
von den Gesetzen des menschlichen Körpers in der Bewegung, einen hohen Sinn für
die grossartigste Schönheit und das tiefste Studium der Antike. In der unvollendet
gebliebenen Madonna mit dem Kinde , ebendaselbst und ebenfalls von seiner Hand
spricht sich mehr Kraft und Entschiedenheit, als Anmuth und Lieblichkeit aus, auch
ist das Kind viel zu heftig und ungestüm in der Bewegung, zu bestimmt und derb
in den Formen. Die Denkmäler sind ganz vorzüglich für den Raum componirt, so
dass sie schon als Ergänzung und Resultat der Architektur eine grossartige Wirkung
hervorbringen. Die Kapelle selbst ist ein leichtes herrliches Gebäude, welches das
Princip brunelleschfscher Sakristeien auf das geistreichste erweitert und erhöht dar-
stellt. Derselben Zeit, in welcher Michelangelo die Sculpturen für das Grabmal
der Mediceer ausführte, gehört auch die kurz nach Rückkehr der Medici gefertigte,
aber nur aus dem Rollen gehauene, jedoch i-n diesem Zustand vielversprechende
Statue eines Apollo, der mit der Linken über die Schulter greift, um einen Pfeil aus
dem Köcher zu holen (gegenw. in den Uiiizien zu Florenz).
Michelangelo war übrigens mit seinen Arbeiten in der Kapelle der Mediceer
noch nicht ganz zu Ende, als ihn 1532 Clemens VII. nach Rom berief und ihm die
Ausführung eines Gemäldes, das jüngste Gericht darstellend, an die Hauptwand der
sixtinischen Kapelle, und eines andern, den Sturz Lucifers, über dem Haupteingang,
übertrug. Der von Schmerz über sein Vaterland und die Anstrengungen der let-zten
Jahre schwer augegriifene Meister, für dessen Leben selbst seine Freunde besorgt
geworden waren, eilte nach Rom und machte sich sogleich an's Werk. Während er
aber die Zeichnungen und Cartons zu dem Weltgericht machte, auch hin und wieder
um einerseits seine Verbindlichkeiten zu erfüllen, anderseits den heil. Vater nicht
zu verletzen, heimlich an dem Grabmal Julius IL, dessen Vollendung ihm ungemein
am Herzen lag, arbeitete, starb Clemens VII. 1534. Allein sein Nachfolger, Paul III.,
hiess ihn die begonnene Arbeit fortsetzen und versprach, ihm durch seine Vermittlung
Erleichterungen in Beziehung auf seine Verpflichtungen wegen des Juliusgrabmals zu
erwirken. So begann er denn die Malerei des jüngsten Gerichts und brachte sie glück-
lich zu Ende. Im Jahr 1545 war das grosse Werk vollendet. Dieses ungeheure, 60
Fuss hohe Bild steht mit der zahllosen Menge seiner Figuren, in der Kühnheit des Ge-
dankens, in der Mannigfaltigkeit der ltlotive und Bewegungen der Gestalten, in der
Meisterschaft der Zeichnung, insbesondere in den schwierigsten Verkürzungen aber-
mals einzig in der Geschichte der Kunst da; allein es geht ihm der geläuterte Adel,
die Reinheit und Hoheit der Deckenbilder ab. Auf de! ßbefll Hälfte des BildeS
sehen wir Christus im Kreise der Apostel und Erzväter, denen sich auf der einen
Seite die Märtyrer, auf der andern andere Heilige und eine weitere Schaar Selige
anschliessen. Oberhalb, unter den beiden Bögen des Gewölbes, Zwei Eng-glgruppen,
welche die Marterwerkzeuge der Passion tragen. Unter dem Erlöser eine andere
Gruppe von Engeln, Welche zur Auferweckung der Todten blasen und die Bücher deS
Lebens halten. Zur Rechten: die Auferstehung und darüber das Aufschweben der
Gebenedeiten. Zur Linken: die Hölle und das Nißdßrstürzen der Verdammten, die
frech zum Himmel empordringen wollten. Zürnend wendet sich der YVeltenrichter
gegen die Seite der Verdammten und erhebt abwehrend, wegwerfend , nieder-
Sßllmetternd seine Rechte gegen dieselben. Angstvoll hüllt sich Maria in ihre
I Abgebildet in den Denkmälern der Kunst. Atlas zu Kuglers Haudb. der Kunstgeach. Taf. 72, Fißi 7-