Volltext: A - E (Bd. 1)

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Michelangelo. 
Buon arotti , 
sind von der höchsten Würde und Majestät; doch herrscht in ihnen zugleich die 
grösste Mannigfaltigkeit der Stellungen und des Ausdrucks und jede Gestalt ist auf 
die eigenthürnlichste Weise individualisirt; Es sind: Jeremias, ein Mann in vorge- 
riickt-em Alter mit langem weissem Barte, niedergebückt, versunken in die Gedanken 
eines bitteren gewaltsamen Schmerzes; Ezechiel, das Haupt in rascher Bewegung 
nach einem Engel gewandt, der ihm den Befehl seiner Berufung ertheilt; Joel, den 
beim Lesen die stärkste innere Erregung ergreift; Zacharias, ein Greis in hohem 
Alter, ruhig und überlegsam; Jesaias, der wie aus einem Traumgesichte erwacht; 
Daniel in jugendlichem Alter, im Begriff seine Offenbarungen niederzuschreiben; 
Jonas, mit dem Ausdruck eines wiedergewonnenen mächtigen Lebens. Ferner die 
persische Sibylle, ein mächtiges, hohes Weib, hochbejahrt; die erythräische, voll 
der schönsten Kraft, der kriegerischen Göttin der Weisheit vergleichbar; die delphische, 
eine Gestalt, welche Gewaltigkeit und Schönheit im höchsten Verein ofenbart; die 
cumäische, eine Frau im bejahrten aber kräftigen Alter und im grossen Charakter 
der Formen vorgestellt, endlich die libysche, eine Frau im besten Alter.  Der 
äussere Zusammenhang dieser mannigfaltigen Darstellungen wird durch ein gemaltes 
architektonisches Gerüst von eigenthümlicher Composition vermittelt, welches die 
einzelnen Gegenstände umschliesst, die Hauptmassen bedeutsam hervorhebt, und dem 
Ganzen _den Anschein derjenigen Festigkeit und freien Haltbarkeit gibt, welcher bei 
den an Decken belindlichen, also gewissermassen hängenden Darstellungen so höchst 
nötvhig ist. Zu diesem Gerüst ist hier auch eine grosse Anzahl von Figuren zu 
rechnen, Welche an minder bedeutenden Stellen in Stein- ode1' Bronzefarbe, an be- 
deutenderen in natürlicher Farbe ausgeführt sind und dazu dienen, die architektoni- 
schen Formen zu stützen, zu tragen, auszufüllen, zu beschliessen, wesshalb man sie 
schon die belebten, persönlich gewordenen Kräfte der Architektur genannt hat. 
Unter den Propheten und Sibyllen sind es derbe Kindergestalten in Naturfarbe, 
welche die Inschrifttafeln hoch in den Händen tragen, oder sie mit dem Haupt 
stützen. An den beiden Seitenpfosten der Throne, auf denen jene ruhen, sieht man 
je zwei nackte Kinder, Knabe und Mädchen, in einer die Sculptur nachahmenden 
Steinfarbe. Ueber den Gewölbekappexi, oberhalb der Fenster, nehmen liegende und 
lehnende athletische Figuren in Bronzefarbe die Bogenfüllung ein. Zuletzt, Wo von 
beiden Seiten die kolossalen Gesimse sich nähern und Raum lassen für die Reihe 
der Mittelbilder, sitzen auf Post-amenten nackte männliche Figuren in natürlicher 
Farbe, von denen je zwei Bänder halten, an welchen der zwischen ihnen befindliche 
Medaillen von Erzfarbe mit Reliefs befestigt ist; einige tragen auch reiche Laub- 
und Fruchtgewinde. Diese dekorativen Figuren treten in bedeutsamer plastischer 
Ruhe hervor, sind aber doch zugleich wieder den Hauptgegenständen untergeordnet 
gehalten , wie diese Wieder in den für die verschiedenen Räumlichkeiten günstigsten 
Massen und Verhältnissen componirt erscheinen. Ueberhaupt ist il'1 dieäen Decken- 
gemälden der grossen sixtinischen Kapelle der grosse Gedanke des Ganzen in einer 
Reihenfolge" der bedeutsamsten Gegenstände, die unter sich in engen Beziehungen 
stehen und Michelangelds eigenthümlicher Richtung so vollständig angemessen 
waren, auf's Grossartigste in allen Theilen durchgeführt. 
Nach Vollendung der Deckenmalereien der Kapelle, Welche die Bewunderung 
Aller erregten, die sie sahen, beschäftigte sich Michelangelo wieder mit dem Grab- 
mal Julius II., um dasselbe nun nach einer einfacheren Zeichnung zu beendigen, 
allein-der Tod des Letzteren (1513) unterbrach abermals die Arbeit; denn sein Nach- 
folger Leo X., der Buonarotti zu andern Zwecken verwenden wollte, schickte ihn 
nach Florenz, um die Facade der von den Medici erbauten Kirche S. Lorenzo daselbst 
herzustellen und als Oberbaumeister an derselben zu wirken, erlaubte ihm jedoch, 
auch dort an den Figuren des Grabmals fortzuarbeiten. Michelangelo begab sich 
sofort nach Florenz, wo die Medici wieder zur Herrschaft gelangt waren, und von 
da. nach Carrara, um Marmor Zll brechen, VQTIOT aber, da ihm der Papst befohlen 
hatte, in den Bergen von Seravezza, wo erst Wege zu ebnen und neue Brüche zu 
eröffnen waren, darnach graben zu lassen, mehrere Jahre Zeit damit. Nach Papst
	        
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