Buonarotti , Michelangelo.
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der Welt und des Menschen, den Sündenfall mit seinen Folgen, die wunderbare Er-
rettung des auserwählten Volkes, die Annäherung der Zeit der Erlösung, versinnlicht
durch die Vorfahren der h. Jungfrau, und die Propheten und Sybillen, welche seine
zukünftige Erscheinung verkündeten, dar. Die Decke wird durch ein Spiegelge-
wölbe gebildet. Der mittlere llache Theil derselben enthält in vier grösseren und
fünf kleineren Bildern die bedeutendsten Geschichten der Genesis, nämlich in den
vier Hauptbildern: die Schöpfung der Sonne und des Mondes; die Erschaffung Adams,
ein Bild von wunderbar tiefsinniger Composition und voll der edelsten Hoheit und
IMajestät in der Ausführung; den Sündenfall und die Vertreibung aus dem Paradiese,
namentlich durch die Verbindung zweier durch die Zeit getrennten Momente, Schuld
und Strafe, höchst poetisch, die Eva im Sündenfall von unendlicher Schönheit; end-
lich die ügurenreiche Darstellung der Sündfluth, vielleicht die gelungenste Compo-
sition des Michelangelo im dramatischen Ausdruck. Diese auf die Schöpfung und die
Geschichte des ersten Menschengeschlechts bezüglichen Bilder sind die grossartigsten
Darstellungen dieses Gegenstandes, die man kennt. In ihnen ist es dem Künstler
gelungen, das Uebersinnliche in einen völlig klaren und sprechend sinnlichen Moment
zu übertragen; in ihnen tritt das Wesen des schaiienden NVcltgeistes lebendig vor
die Seele. Gott Vater rauscht darin, von einer Heerschaar göttlicher Einzelkräfte
seines schöpferischen Worts in der Gestalt von Genien, welche ihn halb, tragen,
halb von ihm getragen werden und von seinen flatternden Gewanden bedeckt sind,
in gewaltigem Fluge dahin. Michelangelo hat in diesen Bildern für die Ehrfurcht
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neren Bilder, die ebenfalls ihre besonderen und grossartigen Schönheiten haben,
stellen dar: die Scheidung des Lichts von der Finsterniss; die Scheidung von Land
und Wasser; die Erschaffung der Eva; das Dankopfer des Noah und Noahs Trunken-
heit. In den Gewölbekappen der vier Ecken sieht man Darstellungen, welche sich
auf die Rettung des Volkes Israel beziehen. _Es sind: das Gastmahl der Königin
Esther mit der Bestrafungjdes Haman, ein Bild, auf welchem die Figur des an's
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ehernen Schlange; David's Sieg über Goliath und Judith nach der Ermordung des
Holofernes. In den Stichkappen und den darunter beündlichen Bö en über den
Fenstern sind die Vorfahren der heil. Jungfrau, deren Reihenfolge aff den Erlöser
hinüber leitet, dargestellt. Da von denSelbe-n aber in der heil. Schrift zumeist nichts
erwähnt wird , sie also hier nur in Beziehung auf ihren göttlichen Abkömmling exi-
stiren, so konnten sie auch nicht, mit Hindeutung auf einzelne Persönlichkeiten, auf
besondere Handlungen und Verhältnisse dargestellt werden. ltlichelaneelo fasstc Sie
daher in den schönsten Familiengruppen zusammen, in denen sich eibn ruhiges ge-
sammeltes Harren in die Zukunft ausspricht. Er wusste aber diese Zustände zu den
mannigfaltigsten Motiven, oft sogar höchsten Ranges zu benützgn, und-Solcher G9-
Stalt eine Reihenfolge verschiedener Scenen des Familienlebens in eigenthümlicher
Abgeschlossenheit und grossartig schöner Auffassung darzustellen. Sie gehören eben-
fallf lllüMichelangelos edelsten Compositionen und enthalten einzelne Beispiele einer
Inmgkelt und Zartheit, die man sonst selten in seinen Werken findet. Endlich
gewahrt man in den Dreieckfeldel-n des gewölbten Randes die Gestalten der Propheten
11ml Slbynell, als die Verkündiger dCS ETIÖSHS, jene für die Juden, diese für die
HeldeIL Auch Sie, der Dimension nach die grössten Figuren der Decke, gehören zu
d?" WuPdeTbßTSten Gestalten, welche die neuere Kunst hervorgebracht hat. Sie sind
saümlthßh Sitzend dargestellt, von Genien begleitet, meist mit Büchern oder Schrift-
äzrlt: bzscänffäggt, lauter in ernste Betrachtung, in Hingebung an die göttliche Offen-
wöhnläheß delr s! MISSÄOD versunkene, W11 höherer Inspiration erfüllte, über das Ge.
hemgem Schauelenlscdhghen Natur erhabene Wesen, deren Anblick das Gemüt-h mit.
sie sichi d F n ewunderung erfüllt: Ihre Gestalt und ihre Pewegung, wle
n en ormen selbst und lll den Linien und Massen der Gewander darstellen,