Volltext: A - E (Bd. 1)

212 
Buonarotti, Michelangelo. 
angelo 8 Monate lang in Carrara verweilt, um Marmorblöcke brechen zu lassen, die 
dann nach Rom auf den Petersplatz gebracht wurden, vollendete er zwei Statuen von 
Gefangenen (die aber später erst nicht an dem Grabmal angebracht, sondern nach 
Frankreich kamen, wo sie sich noch jetzt im Louvre zu Paris beünden) , die Michel- 
angelds Kenntniss des menschlichen Körpers in seiner ganzen Tiefe zeigen und in 
dem Gegensatz einer kräftigen, untersetzten und gemeinen mit einer jugendlichen, 
schlanken und edleren Natur einen eigenthümlichen Reiz entfalten; ferner einen 
Heldenjüngling, der auf einem Besiegten kniet (derzeit im grossen von Vasari ge- 
malten Saale im Pal. vecchio zu Florenz), auch begann er die fünf Ellen hohe Statue 
des Moses. (Die vier nur theilweise aus dem Rauhen gearbeiteten Statuen in einer Grotte 
des Gartens Boboli scheinen ebenfalls dafür bestimmt gewesen zu sein.) Allmählig 
aber scheint der Eifer des Papstes, sei es Wegen der bedeutenden Kosten, sei es aus 
Unbeständigkeit oder durch Zureden der Gegner Michelangelds, deren er stets eine 
Menge hatte, erkaltet zu sein. Michelangelo wurde zudringlich und der Papst, nicht 
minder heftig als der Künstler, dadurch so ärgerlich, dass er ihn einmal sogar in 
einer solchen Anwandlung von Zorn durch einen Palastdiener abweisen liess, worauf 
jener in der Nacht noch Rom plötzlich verliess und nach Florenz entfloh, auch weder 
durch wiederholt ihm nachgesandte Eilboten des Papstes, noch ein Breve desselben 
an den ilorentinischen Staat zur Rückkehr bewogen werden konnte. Erst 1506 
söhnte er sich mit dem Papst zu Bologna wieder aus, worauf ihm dieser seine fünf 
Ellen hohe Porträtstatue aus Bronze, für die Kirche S. Petronio daselbst bestimmt, 
bestellte. Diese Bildsäule, die sich sowohl durch die Grösse und Hoheit der Auf- 
fassung und den Ausdruck des Muths, der Kraft und Entschlossenheit als durch den 
Reichthum und die Pracht der Gewänder ausgezeichnet haben soll, wurde in 16 
Monaten modellirt und gegossen und 1508 in einer Nische über der Thüre in S. 
Petronio aufgestellt, aber schon 1511 wieder, während eines Aufstandes zu Gunsten 
der um die Obcrgewalt streitenden Bent-ivogli, von den Partheigängern der Letzteren 
zerstört. Nur der Kopf soll sich erhalten haben, was ausihm geworden ist, weiss 
man indessen nicht. 
Im Jahr 1508 kehrte Michelangelo, nachdem er das Standbild vollendet, nach 
Rom zurück und wurde sogleich vom Papste mit neuen umfassenden Arbeiten beauf- 
tragt. Der Papst lud ihn ein, die Decke der sixtinischen Kapelle mit einer Reihe von 
Gemälden aus der biblischen Geschichte zu schmücken, Michelangelo aber, der gerner 
das Grabmal vollendet hätte, suchte sich dieses Auftrags mit der wohl begründeten 
Entschuldigung" seines Mangels an Uebung in der Behandlung der Farben zu ent- 
ledigen. Allein Julius II., dessen ungestümes Naturell keinen Wiederspruch dulden 
konnte, durch Michelangelds YVeigerung gereizt, vielleicht auch durch des Künstlers 
Nebenbuhler und Feinde aufgestachelt, die, auf seine Unkennt-niss in der Kunst der 
Malerei bauend, ihn durch ein minder gelungenes Werk aus der Gunst des Papstes zu 
verdrängen gedachten, bestand auf seinem Verlangen und so begann denn Michel- 
angelo noch in demselben Jahre die verlangten Arbeiten. Nachdem er die Cartons 
dazu vollendet, zwang ihn die Grösse des Unternehmens zu dem Ilntschluss, sich zu 
deren Ausführung in Fresco der Hülfe einiger ihm befreundeter Maler zu bedienen. 
Er liess daher Granacci, Giul. Bugiardini, Jacopo di Sandrc, den alten 
Indaco, Agnolo di Donino und Aristotele aus Florenz kommen, ihre Arbeiten 
gefielen ihm jedoch so wenig, dass er eines Morgens alles, was sie gemacht, wieder 
herunter schlug, sich in die Kapelle einsehloss und sämmt-liche Malereien nun allein 
in der kaum glaublich kurzen Zeit von 22 Monaten glücklich zu Ende führte. Diese 
Gemälde an der Decke der sixtinischen Kapelle sind das Erhabenste und Gediegenste, 
was Michelangelo in den verschiedenen Fächern der Kunst überhaupt geleistet hat. 
In ihnen zeigt sich sein grosser Geist in seiner höchsten Würde und Reinheit und 
keine einseitige WVillkür, zu der ihn in andern Werken sein eminentes Talent hin und 
Wieder verleitet hatte , stört den hochbedeutsanien Eindruck des Ganzen. Sie bilden 
ein die Schicksale der Welt, des Menschen und dessen, durch die heil. Schrift geoden- 
harte Verhältnisse zu Gott schilderndes grossart-iges Gedicht und stellen die Schöpfung
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.