210
Buonarotti, Michelangelo.
zusammenzog, und der diese auch 1494 aus Florenz vertrieb, begab er sich nach
Venedig und von da, nach Bologna, woselbst er an der Arca di S. Domenico in der
Kirche dieses Heiligen die ungemein liebliche Statue eines knieenden Engels mit dem
holdesten, anmuthigsten Köpfchen in Marmor ausführte. Auch die St-atuette des h.
Petronius ebendaselbst ist von ihm. Er blieb nicht lange über ein Jahr in Bologna
und reiste sodann wieder nach Florenz. Hier arbeitete er für Lorenzo die Pier-
francesco de' Medici, der, als zur Volksparthei gehörig, in Florenz zurückgeblieben
war und hier den Namen Popolani angenommen hatte, einen kleinen Johannes und
begann einen schlafenden Cupido in natürlicher Grösse in Marmor (beide ver-
schwunden). In allen diesen Jugendwerken erscheint Michelangelds ungestüme
Kraft noch schlummernd, noch wie träumend unter dem milden Hauche der
Kunst, die während seinen Jünglingsjahren in Florenz blühte, und er erwarb sich
durch sie einen sehr bedeutenden Ruf. Der letztere wurde namentlich noch durch
den Umstand gesteigert und weiter verbreitet, dass die letztgenannte Statue von
Baldassarc del Milanese an den Kardinal S. Giorgio, eigentlich Rafaello Riario, in
Rom für antik verkauft wurde und auch dafür galt, bis der Käufer den Namen des
wirklichen Meisters erfuhr. Obgleich durch diesen Vorfall als Kunstkenner beschämt,
war der Kardinal doch so hingerissen von der Kunst des jungen Meisters, dass er ihn
nach Rom einlud. Hier schufMichelangelo seinen Bacchus (in den Ufiizien zu Florenz),
eine Statue von grosser Weichheit und einer fast trunkenen Jugendfülle, an welcher
man besonders die vollkommene Durchbildung des nackten Körpers bewundert, und
(1499) seine Pietad" (von dem Kardinal de la Grolaye de Villiers, Abt von S. Denis,
für die Kirche S. Petronilla in Rom bestellt, später aber in der Peterskirche daselbst
aufgestellt), eine wunderbar herrliche Gruppe von grossartiger Einfachheit in der
Cornposition, Weichheit und Milde, und von entzückender Schönheit in den Köpfen.
Dieses letztere Werk wurde öfter in Marmor und Erz copirt. Schon Luca Signo-
relli malte davon jene freie Nachbildung grau in grau, die kürzlich im römischen
Leihhausc wieder aufgetaucht ist. Eine milde und würdevolle Madonnenstatue in
der Notredamekirche zu Brügge, welche ebenfalls dem Michelangelo zugeschrieben
wird, dürfte, wenn sie wirklich von ihm herrührt, zu diesen frühen Schöpfungen
gehören.
Nach Beendigung dieser Werke kehrte er nach Florenz zurück und legte hier
1501, im Auftrag des Raths der Stadt, Hand an einen Marmorblock, aus dem Meister
Agostino di Guccio eine kolossale menschliche Gestalt für den Domplatz zu
machen sich vergebens angestrengt hatte, und gestaltete nun, um Zeugniss seines
ausserordentlichen Kunstgeschicks abzulegen, aus dieser von seinem Vorgänger übel-
zugerichteten Steinmasse die ebenso kraftvoll belebte, als ungemein schöne Statue
des David" vor dem Palazzo vccchio, für die er 400 Scudi erhielt. Sie war 1503
vollendet und wurde 1504 aufgerichtet. Während Michelangelo damit beschäftigt
war, führte er zugleich noch eine zweite für den Bronzegnss bestimmte Statue aus,
welche 1502 von der Signoria, zu Florenz für Pierre Gie, Vicomte de Rohan, Marschall
von Frankreich, bei ihm bestellt wurde, aber wegen dringender anderer Arbeiten
erst 1508 an ihren Bestimmungsort abging. Um dieselbe Zeit fertigte er zwei Me-
daillons in llIarmor, eines für Taddeo Taddei; eine heil. Familie (nur in den Köpfen
vollendet) von ausserordcntlicher Schönheit, ganz im Geiste des Donatello erfunden,
von grosser Naivität des Gefühls, Lieblichkeit des Ausdrucks und Fluss und Weichheit
der Formen , die sich jetzt in der Akademie der schönen KünSte zu London befindet;
das andere, für Bart. Pitti ausgeführt, und ebenfalls eine heil. Familie darstellend,
verwahrt man in der Gallerie der UHizien zu Florenz. In die nämliche Epoche , wie
die genannten beiden Statuen, fällt eine grosse, leider schon beim Beginn in's Stocken
gerathene Bestellung bei dem Meister. Im Jahr 1503 nämlich verdingten die Consuln
der Tuchwirkerzunft dem Buonarotti 12 Bildsäulen der Apostel von carrarischem Mar-
mor, Ellen hoch, für Santa Maria del Fiore; es kam indessen, da die ganze
Abgebildet in den Denkmälern de: Kunst.
Ebondasalbst. Taf. 72, Fig. 6.
Atlas zu Kuglers Handb. der Kunstgesch.