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Viertes
Hauptstück.
lasse sie daher auf sich beruhen, habe aber dafür um so besseren Grund mit
der gegnerischen Partei über die kategorische Weise zu rechten, womit sie
über die übereinstimmenden thatsächlichen Beobachtungen aller Architekten
die sich seit 1820 unter Anstrengungen, Entbehrungen und selbst unter Ge-
fahren aller Art mit dem Studium der attisehen Monumente beschäftigten, ab-
spricht, ohne sich doch im Geringsten selbst an derartigen Arbeiten ernst-
hafter betheiligt zu haben. Was autorisirt sie die Resultate dieser fremden
Arbeiten zum Theil vornehm zu ignoriren, zum Theil auf eine Weise in Zweifel
zu stellen, als wären wir alle: zuerst Donaldson, dann Goury und ich, (die
wir gemeinsam zwei volle Monate allein am Theseustempel zubrachten, der
gewiss nicht vorher noch nachher genauer und unter günstigeren Verhältnissen
untersucht wurde, indem damals Niemand unser Thun beaufsichtigte,) dann
der Pensionair der französischen Akademie Herr Paccard, (der zwei volle
Jahre in Athen studirte und das Resultat seiner Studien, eine vielfarbige Re-
stauration des Parthenon im Jahre 1847 in Paris ausgestellt hatte,) dann
H. Hermann, (dessen Beobachtungen mit den Meinigen ziemlich genau über-
einstimmen,) als wären wir und alle anderen nicht genannten Architekten,
die gleiches gefunden haben, nur Phantasten und gelegentlich auch der Idee
zulieb Aufschneider! Und doch unterscheiden sich alle unsere Beobachtungen,
betreffend den fraglichen Gegenstand, nur darin dass einige von uns den
Hauptton der Säulen, Architrave etc. etwas gelber, andere ihn etwas röther
sahen. Ich meinerseits habe die rüthlichen Ueberreste eines durchsichtigen
Harzes (Drachenblut?) an einzelnen Stellen der Säulen, die ich von einem
fliegenden Gerüste herab einzeln mit der Federmesserklinge untersuchte, sowie
an dem Architrave vorgefunden. Sogar der difficile Penrose konstatirt einen
feinen schimmernden Farbenüberzug von warmem Tone, und
wenn der Herr Geh. Rath v. Klenze in dieser Beziehung anderer Meinung ist
so hat er bei seinen viel wichtigeren Arbeiten während seines Aufenthaltes in
Athen wahrscheinlich nicht, wie ich obscurer Arbeiter in der Linnenjacke,
wochenlang auf dem Theseustempel herumklettern und an Wänden und Säulen
kratzen können.
Was ich damals in unbefangener Auffassung wahrnahm, ich hatte kaum
eine Idee von dem, was ich finden würde, ehe ich nach Athen kam, das be-
festigte sich in mir durch langjähriges Studium. durch gereiftere allgemeine
Kunstanschauung, durch künstlerische Praxis zu derjenigen unerschiitterlichen
Ueberzeugung, betreffs der Marmortempel Athens, die ich bereits mehrmals
öffentlich zu bekennen Gelegenheit hatte.
Eine gegen das von mir verfochtene Prinzip sehr häufig und mit Ge-
schick angewandte Fechtweise ist die Paraleipsis, mit deren Hülfe Texte
alter Schriftsteller, Berichte von gemachten Entdeckungen, sowie Gutachten
der Chemiker, die für dasselbe sprechen, so erscheinen als sagten sie ent-
weder gar nichts oder als zeugten sie geradezu gegen dasselbe. So wird z. ß-
ein Gutachten Faradafs, betreffend verschiedene Farbenreste an dem Aeusseren
athenischer antiker Gebäude, nur so weit berücksichtigt als es die Ffage
einigermassexi ungewiss lässt, der übrige Inhalt dagegen, der unbedingt ent-
scheidet, wird übergangen, oder man benützt die Unbestimmtheit eines Aus-
drucks um dessen Beweiskraft zu brechen.