Schlussbemerkungen. 1
Man wird bei dem was in den letzten Paragraphen dieses Hauptstiickes
über die Polychromie und deren Bezug zu der griechischen und römischen
Kunst enthalten ist vielleicht die genügende Rücksichtnahme auf gegnerische
Ansichten vermisst haben, auf Ansichten die in den meisten und gelesensten
Lehrbüchern der Kunstgeschichte mit grosser Entschiedenheit als die alleinig
statthaften, der hellenisch-klassischen Schönheitsidee entsprechenden, hinge-
stellt werden. Es lag aber einerseits nicht im Plane zu polemisiren und
zweitens sieht man auch nicht wodurch die gegnerische Partei diese Rück-
sichtnahme für sich verdient hat, deren wirksamste Taktik eben in der Ne-
gation. oder in vollständigem Ignoriren der ihr unbequemen Thatsachen be-
steht, die, wo beides nicht zulässig erscheint, sich durch diese Thatsachen
hoifärtig gewandt, mit geschraubten, dehnharen, durch "möchte", "dürfte",
nkönnte," temperirten Phrasen hindurch windet. 2
Verglichen mit der zuletzt angedeuteten Manier der Behandlung unseres
streitigen Gegenstandes war die positive Sprache des verstorbenen Professor
Ulrichs in Athen doch wenigstens eine loyale; er wollte einmal nur solche Texte
die ihm seiner Ansicht das Wort zu sprechen schienen berücksichtigen, er
bekiimmerte sich eben so wenig um dasjenige, was Archäologen vor ihm über
dieselben Texte geschrieben hatten, wie überhaupt um alles was sonst noch
bei den Alten und Neuen über die Frage, die ihm im geringsten nicht streitig
erschien, zu finden ist.
Da lobe ich mir auch Herrn Hettner, der nach seiner Rückkehr von mehr-
wüchentlicher Reise durch Griechenland sein jugendlich frisches Urtheil über
1 Diese Schlussbemerkungen sind zunächst nur für solche Leser bestimmt
welche die Gelehrten- und Künstlerkontroverse über Vielfarbigkeit der antiken
Kunst im Einzelnen verfolgten. Man überzeugt sich bald dass sie noch bei
Lebzeiten des berühmten Kunstschriftstellers, der in ihnen häuüg genannt
wird, aufgesetzt wurden. Als der Drucker den Satz einsandte, fragte es sich
nun sie stehen zu lassen oder sie zu unterdrücken. Man wählte das Erstere,
in Betracht des weiterverbreitetcn Einflusses den die Anschauungen Kuglers
über diese Frage, und seine Art sie als jeden ferneren Zweifel lösend vorzu-
bringen, auf seine Leser geübt haben und noch üben. Beiden musste entgegen-
getreten werden, wobei der nunmehr Verstorbene, als Schriftsteller, unmöglich
ganz unberührt bleiben konnte.
Kugler war übrigens dem Verfasser die ihm nothwendige Personifikation
des in Deutschland weitverbreiteten und unsterblichen Hofrathstypus, den er
eigentlich nur meint, wenn er gegen ersteren auftritt.
Was hindert übrigens auch den Verfasser unter die Verstorbenen zu
rechnen? Artifex periit. Und wer steht dafür dass, bei der jetzigen
Organisation des Buchhandels, dieses Werk nicht als opus posthumnm erscheint!
2 Um ein Beispiel zu geben etwa so: "Die scheinbaren Ueberblßibsel
rother Farbe an den grösseren architektonischen Flächen können im Allge-
meinen nicht in Betracht kommen und folgerecht wird überllßllPt
das ehemalige Vorhandensein röthlicher Farbe, wo sie nicht zugleich düjfßh
die Umrisse eines Ornaments eingeschlossen erscheint, mit einiger Vorsicht
aufzunehmen sein. Namentlich glaube ich hier von der wenig Yerbllfg-
ten röthlichen oder gar dunkelrothen Färbung des inneren ArchlträVS am
Theseustempel absehen zu dürfen!"