Kunst.
Textile
Zeitalter.
Christliches
Reich.
Westliches
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ohne Selbständigkeit und bildet sie dennoch keinen mitthätigen
Theil der Architektur; sie erhebt sich selten über ikonographi-
sches Sein und ist hierin beinahe ägyptisch.
Der Beziehungen zwischen dem hierarchischen Architektur-
systeme Aegyptens und dem der katholischen Kirche des 13ten
Jahrhunderts gibt es übrigens mehrere, über die bei anderer Ge-
legenheit zu sprechen sein wird; die eine noch hebe ich hier
hervor, dass das Ornament auch in der gothischen Baukunst sei-
nen struktur-sylnbolischen Sinn aufgibt und nur locker mit dem
Konstruktionskerne in Verbindung steht, theils als reine Zierde,
theils mit tendenz-symbolischer Bedeutung.
Man sollte meinen dass eine allgemeine Polychromie mit dem
Prinzipe des gothischen Stiles unverträglich wäre, und dennoch
ward sie niemals vollständiger und entschiedener angewandt als
im 13. und 14. Jahrhunderte an den Werken der Baukunst und
Skulptur dieser Zeit. Nur das Aeussere, (mit Ausnahme jedoch
der Portale und einiger ausgezeichneter Theile, sowie des Daches)
scheint die Naturfarbe des Steines behalten zu haben. Vielleicht
fühlte man für das Innere das Bedürfniss der Lösung des vor-
her gerügten Uebelstandes, der darin besteht dass es dem Auge,
(das von Innen die Widerlager und Strebebögen nicht wahr-
nimmt,) bei dynamisch auftretendem Ribbenwerke der Weitge-
spannten Gewölbe und dem leichten Pfeilersysteme ohne Zwischen-
Wände, an der nöthigen Beruhigung fehlt, welche Lösung
allerdings einigermassen erreichbar wird, wenn man mit Hülfe
der Proiilirung und der Malerei den Gurtbögen und den Ribben
der Gewölbe den Ausdruck der aus einzelnen Wölbsteinen be-
stehenden Struktur benimmt und sie als gebogenes Astwerk oder
als kontinuirliches, absolute Festigkeit besitzendes Rankengewebe
durch Analogieen bezeichnet, die aus den textilen Künsten oder
der Natur selbst entlehnt sind.
Nach meinem Dafürhalten darf polychrome Bekleidung nirgend
weniger fehlen, ist ihre vollständigste Durchführung nirgend mehr
Bedürfniss als bei dem gothischen Baustile, auch kenne ich kein
Gebäude dieses Stiles, das mein architektonisches Gefühl vollstän-
dig befriedigt hätte, als vielleicht die vollkommen polychromatisch
durchgebildete Ste. Chapelle zu Paris, dessen Architekt, der Ikti-
nos des 13. Jahrhunderts, Peter von Montereau, auch durch die
Disposition seiner Werke auf möglichste Beseitigung des oben-