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Viertes
Hauptstück.
wie Bewunderungswürdiges das Mittelalter auch in der Glas-
Inalerei-hervorbrachte, so behält sie doch unstreitbar stets einen
gewissen barbarischen Typus und ist sie nicht derjenige Zweig
der Malerei, worin diese göttliche Kunst ihren höchsten Auf-
schwung nehmen kann; denn sie ist durch die Dienste der durch-
sichtigen Bildtafel, als Schutzmittel, da sie nicht sowohl die
Mauer bekleidet, sondern selbst Schutzmauer sein muss, und als
Fenster an dieser Stelle den streng-struktiven architektonischen
Gesetzen des gothischen Stiles unterworfen, und ausserdem durch
die technischen Schwierigkeiten bei dieser Art Mosaik, vornehm-
lich aber durch die eigenthiimliche Benützung des Lichtes die
ihr vorgeschrieben ist, an die bestimmtesten Schranken in der
Entfaltung ihrer Mittel gebunden, die sie nicht tmgestraft über-
schreiten darf und deren Grenzen sie schon im Anfange des
13. Jahrhunderts erreichte.
Noch eine andere Stelle liess dieser Stil der Malerei und Plastik
sich unabhängiger von der allgemeinen Struktur zu bewegen in
den niederen Wänden, welche nach antiker Ueberlieferung um den
Chor herum, zwischen den Pfeilern und sonst an dazu geeigneten
Plätzen angebracht sind. Aber die Glasmalerei mit ihrer bunten
Lichtwirkung musste hier mit den Darstellungen in Contlikt ge-
rathen und das alles umspinnende architektonische Maasswerk
bemächtigte sich daher sehr bald auch dieser wenigen der freien
Kunst noch übrig gebliebenen Felder. Nur in den älteren Dornen
zeigt sich noch die Benützung dieser Flächen zu Darstellungen
im historischen Sinne, zum Theil in glücklichster Weise, wie z. B.
am Chore des Domes zu Amiens, der mit einer Reihe lebendig-
ster Darstellungen in polychromen Reliefs umgeben ist.
Noch beschränkteres Schalten als das der Malerei verblieb der
eigentlichen Bildnerei als unabhängiger Kunst. Nur in seinem
ersten Auftreten gestattete der gothische Stil dieser Kunst noch
eine grossartigere Entfaltung, die eigentlich noch der spätromani-
schen Zeit angehört und durch die Consequenz des neuen Archi-
tektursystemes sehr bald verkiimmertc. Das letztere duldet eigent-
lich keine Statue von übermenschlichen Dimensionen und hat für
die Bildsäule nur Platz mitten innerhalb der struktiven Theile des
Baues, der keine Wände, mithin auch keine Wandnischen, hat.
Eingedrängt zwischen Pfeilerbündeln und in Hohlkehlen, oder an
Pfeiler angelehnt und als deren Aufsatz dienend, bleibt die Statue