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Hauptstück.
Netzwerk von Gewölbribbeu aufgelöst wird, die zugleich senk-
recht und horizontal auf nur einzelne Punkte der Mauer wirken,
verlangt das Auge, sowie die Statik, sofort Gegenstiitzen.
Der gothische Baustil hat die eine Hälfte des Problemes, die
mechanische nämlich, durch die von Aussen gegen die Mauer ge-
stützten Strebepfeiler und Schwibbögen nur zu rücksichtslos und
hausbacken gelöst. Dagegen ist er die Lösung der ästhetischen
Hälfte desselben schuldig geblieben; er lasst nicht nur das Auge
unbefriedigt, dort wo der Seitenschub der Gewölbribben wahr-
nehmbar wird, nämlich in dem Innern der überwölbten Räume,
wo die äusseren Gegenstreben nicht sichtbar sind und jedes un-
befangene Auge sich durch deren Abwesenheit und das einseitige
Wirken der Gewölbribben nach Aussen gegen einen Pfeiler dessen
Stärke innerlich umgesehen bleibt, der scheinbar zu schwach ist,
gieängstigt fühlen muss; er verletzt das ästhetische Gefühl auch
äusserlich durch übermäehtiges rein technisches Pfeile-r- und
Sehwibbogenwerk, das gegen etwas wirkt was ausserlich gar
nicht gesehen wird und in formaler Beziehung daher auch gal-
nicht existirt. Denn das ästhetische Auge trägt zwar räumliche
Eindrücke mit Leichtigkeit über von früher zu nachher Gesehenem
aber statische Ergänzungen des Gesammteindruckes durch noch
nicht oder nicht mehr gesehcnes Gegenwirken von Massen sind
nicht statthaft. Diess erklärt sich ganz einfach dadurch, dass ein
halbes statisches System nichts Ganzes für sich bildet und eigent-
lich gar nicht existenzfahig ist, dass dagegen ein Raum, z. B. ein
Vestibulum, das mit dem Peristyl des Hofes, sodann mit der nach-
her zu ersteigenden Treppe, der oberen Loggia und dem Vor-
saale, in welchen diese führt, eine harmonisch wirkende Gesammt-
heit bildet, auch für sich allein ein abgeschlossenes Ganzes ist.
Viel schöner ist diese Aufgabe z. B. gelöst in den grossartigen mit
Kreuzgewölben überspannten Hauptsälen der römischen Thermen,
wo das Widerlager und zugleich die senkrechte Stütze der Wölb-
decke durch vor die inneren Wände gestellte Säulen, deren Ge-
bälk in die Mauer eingreift und den Seitenschub aufnimmt, zu-
gleich mechanisch und ästhetisch befriedigend vertreten sind.
Durch diese Säulenstützen in dem Inneren der Raume für die
Decke wird zugleich dem alten indogermanischen Grundsatze,
dass die Mauer nicht tragen sondern nur umschliessen soll, Ge-
nüge gethan, und letztere in dieser Beziehung von dem Gewölbe-