Textile Kunst.
Die Römer als
Welten-oberer.
493
über deren Giebeln zarte Blumen aus gesehnörkelten Wurzeln
hervorwachsen und auf denen ganz unmotivirte kleine Figuren
sitzen, mitunter auch Blumenkelche mit halben aus ihnen empor-
keimenden Figürchen mit bald menschlichen bald thierischen
Köpfen." Daran schliesst der Architekt seine bekannte Philippika
gegen die Verkehrtheit dieses Geschmacks und die Anekdote
von dem Apaturius aus Alabanda, der zu Tralles eine Scene in
dem phantastischen von Vitruv gerügten Stile geschmückt hatte,
aber denselben auf den Tadel eines Mathematikers Licinius später
abänderteß
Vorausgesetzt, V itruv sei bei dieser Uebersicht die er von der
Geschichte der Dekorationsmalerei gibt nicht auf die heroischen
Zeiten zurückgegangen, und habe nicht etwa an die Marmorinkru-
stationen des Atridengrabes zu Mykenä oder dem Aehnliches ge-
dacht, unter welcher Voraussetzung hernach eine Art von Rechtfer-
tigung seiner Theorie möglich wird, ist dieselbe durchaus unrichtig.
Die wahre Inkrustirungsmethode war während der hellenischen
Kunstperiode vollständig in Vergessenheit gerathen, und auch von
der Nachahmung von Marmorinkrustationen der Wände in Putz
{indet sich weder an Monumenten noch in den erhaltenen Gräbern
dieser Zeit eine Spur. Eben so War den Römern und Etruskern der
Gebrauch des Marmors, selbst des eigenen lunensischen, bis auf
die Zeit kurz vor dem Falle der Republik, zu konstruktiven und
dekorativen Zwecken gänzlich unbekannt, sie entlehnten ihn
erst von den Griechen, und zwar, was wenigstens die Inkru-
station der Wände und das aus ihrer Nachahmung entstandene
Dekorationsprinzip mit farbigen Stuckfüllungen betrifft, von den
Griechen alexandrinischer Zeit.
Dieses uralt-barbarische, nach langer Vergessenheit durch
asiatischen Einfluss auf griechisches Wesen wieder erneuerte,
Prinzip der Dekoration verdrängte die Megalographie und Skeno-
graphie der Polygnote und Agatharche, und verband sich mit
dem Luxus der geraubten und eingeführten Kunstgegenstände,
die in die Mauern eingelassen oder sonst wie dem architektoni-
schen Verbande der räumlichen Dekoration einverleibt werden
1 Es ist zu bedauern dass der Zeitpunkt nicht bekannt ist wann dieses
geschah, sicher aber in der späten alexandrinischen Periode, vielleicht
schon zu römischer Zeit. Für den lat. Namen Licinius will jedoch Letronne
Lycinuß und Sillig Lioymnius lesen.